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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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in der Heimat an. Schon unterwegs erfuhr sie von ihrem
Schwager, daß die Mutter für vier Wochen verreist sei und daß der Vater nichts
dagegen habe, wenn sie komme. Zu ihrem Empfang hatte die Schwester die Zimmer
mit Blumen geschmückt.
    Am Abend kam sogar der Vater,
um ihr »Grüß Gott« zu sagen. Er gab ihr die Hand und sagte verlegen, weil ihm
nichts anderes einfiel:
    »Du bist aber groß geworden.«
    Sie antwortete leise: »Dreizehn
Jahre sind auch eine lange Zeit.«
    »Ja, ja«, meinte er mißmutig,
»da hat sich allerhand zugetragen, aber ich wünsche dir einen schönen Urlaub.«
    Sie strahlte ihn an: »Ich freue
mich so, daß ich hab kommen dürfen.«
    Da mußte sie nach der Lehne
eines Stuhles greifen. Sie spürte, daß ein Anfall kam, und konnte nur noch
sagen: »Paula, hilf!« Dann lag sie am Boden mit geschlossenen Augen und
verkrampften Händen. Behutsam legten sie die Kranke aufs Sofa. Langsam kam sie
wieder zu sich. Sie öffnete die Augen und starrte den Vater an, lange, lange,
als müßte sie sich besinnen, wer er sei.
    »Was ist, Lise, freu dich, du
bist daheim«, sagte die Schwester.
    Da fing sie an, bitterlich zu
weinen.
    Die erste Nacht im elterlichen Haus
ging gut vorüber. Lise erwachte am anderen Morgen erquickt und gestärkt. Die
Schwester wollte, daß sie liegenbleibe, damit sie sich recht erhole, aber es
litt sie nicht im Bett. Sie müsse sich alles ansehen, die Zimmer, die Bilder,
die Blumen und den Garten, und ob die Laube noch da sei und die Ranken voller
Rosen. Es war ja ein Sonntagmorgen, und bald mußten die Glocken zur Kirche
läuten. Sie wäre gerne hingegangen, aber die Schwester riet ihr ab. Wenn ihr
was passierte... Freilich, sie war ja krank. Aber es war auch zu Hause schön.
Sie öffnete altvertraute Schubladen, fand noch Bilderbücher und Spiele und
freute sich über alles. Sie summte längst vergessene Kinderlieder, die sie
einst von der Mutter gelernt. Sie nahm deren Bild von der Wand und küßte es.
    Die dreizehn Jahre schrumpften
in nichts zusammen, als wäre sie immer zu Hause gewesen. Sie sah die Mutter in
der Laube sitzen und Bohnen putzen oder Zwetschen aussteinen. Sie hörte sie
noch sagen: »Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen!« Und sie
spürte deutlich, wie glücklich sie damals war, daß sie der Mutter helfen
durfte.
    So ging dieser Sonntag vorüber,
voller Glück und Freude und Wiedersehen. Alles andere war wie ausgelöscht.
    In der Nacht erwachte sie. Die
Schwester saß an ihrem Bett mit angstvollen Augen. Sie hielt ihre Hand, sie
fragte leise, wie es ihr gehe. Lise wußte nicht, daß sie eben einen furchtbaren
Schrei ausgestoßen hatte. War es ein Schrei der Freude?
    Jetzt lag sie ganz still da,
erschreckend still. Die Schwester beugte sich über sie und lauschte dem Schlag
ihres Herzens. Sie rief ihren Mann und sagte schluchzend: »Ich glaube, die
Freude war zu groß, sie hat sie getötet.«
    Es dämmerte schon, als sie
starb. Am übernächsten Tag wurde sie in der Heimat beerdigt. Die Schwester teilte
es dem Inspektor erst mit, als alles vorüber war. Nur einen Tag der Freude habe
ihre Schwester daheim erleben dürfen, aber die Freude müsse zu groß gewesen
sein, als daß sie sie hätte tragen können. In der Frühe des 31. Juli sei sie
einem schweren Anfall erlegen. Groß sei der Schmerz der Hinterbliebenen, daß
sie nur diesen einen Tag in ihrem Kreis habe feiern dürfen. Aber das Tröstliche
sei, daß sie den Ort, wo ihre Sehnsucht jahrelang weilte, nicht mehr habe
verlassen müssen. Das sei doch wohl eine Fügung Gottes gewesen. —
     
    Einer der Kranken, der schwer
an seinem Schicksal trug, hatte einmal in einer Predigt gehört, daß die Kranken
in besonderem Maße von Gott geliebt seien. Das machte ihm einen so tiefen
Eindruck, daß er seine Lehrerin fragte, ob das wahr sei und ob das wirklich in
der Bibel stehe. Sie erinnerte ihn an das Wort: »Was verachtet ist vor der Welt
und nichts gilt, das hat Gott erwählt.« Lange dachte er darüber nach und sagte
dann: »Also isch’s wohr; nö kann i mei Lebe trage.« Er hatte sich schon
verabschiedet, drehte sich aber noch einmal um und sagte: »Jetzt weiß i net
recht, wie ‘n i’s sage soll — , aber eigentlich tun Sie mir nö leid, daß Sie
gsond send.«

AUS DER SCHULE GEPLAUDERT
     
     
    Wenn Rektor Rupp die Schüler und
Schülerinnen im Geiste an sich vorbeiziehen ließ, die in Stetten in den
dreißiger Jahren durch seine Hand gegangen waren, dann ruhten sie mit
besonderem

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