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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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Mund ja auch weit auf.
    Schon rief der kleine Schelm:
»So machscht du’s, Herr Ruppele, jo, jo, i tenn de!«
    Herr Rupp schämte sich nicht,
dies offen zuzugeben. Manchmal gab er sich sogar absichtlich eine Blöße und
machte, wenn er an die Tafel schrieb, einen Fehler, um zu sehen, ob die Kinder
ihn merkten. Fritzle rieb sich schadenfroh die Hände und rief: »Au, hen mir en
dumme Lehrer!« Nun sollte er selber ein Wort an die Tafel schreiben, machte
aber dabei, obwohl es nicht schwer war, nicht weniger als drei Fehler. Die
ganze Klasse lachte.
    Der Lehrer sagte: »Unser Fritz
muß halt doch ein bißchen dumm sein.«
    Der guckte ihn nur mitleidig
an: »O Herr Ruppele, di tenn i; wo du so tlein warscht wie i, hascht du au nix
tenne, du Schlaumeier!«
    Herr Rupp stritt es wieder nicht
ab, meinte aber, deshalb gehe man ja in die Schule, um etwas zu lernen.
    Je mehr es auf Weihnachten
zuging, um so munterer wurde die Klasse. Die Langsamen wachten auf, die
Lebhaften wurden noch zappeliger, Fritz aber war kaum mehr zu bändigen. Sein
»Schnäuzlein« lief sozusagen von selber, es lief einfach über von allem, was
ihn bewegte. Als kurz vor Weihnachten das Bürschlein überschäumte von
Neuigkeiten und Erzählungen, da wurde es auch einmal dem Lehrer zu bunt, und er
hieß ihn still sein, sonst werde er eine Stunde Arrest bekommen. Aber Fritz
wußte ganz genau, daß sein Herr Ruppele ihm so etwas, vollends vor Weihnachten,
auf keinen Fall antun werde, und sagte ganz trocken:
    »Ach, Lehrerle, hasch du immer
a aufgregts Getue. Weischt denn net, daß des gar net dsund isch, wenn mr sich
so aufregt? Geh doch zum Herrn Doktr und laß dir a Arzneile gebe, daß de nemme
so auf rege muscht!«
    Alle lachten, und Herr Rupp
hatte Humor genug, einfach mitzulachen. Als der Fritzle merkte, daß immer noch
gut Wetter war und er nichts zu befürchten hatte, ging er zu ihm hin, strich
ihm mit der Hand ganz sacht über den Arm und sagte: »Guck, Herr Ruppele, ‘s
isch scho a bissele besser, gell?!« Vielleicht, um ihn für kurze Zeit
loszuwerden oder auf andere Gedanken zu bringen, vielleicht auch, weil er
wußte, daß Fritzle bei seiner Frau einen Stein im Brett hatte, schickte ihn der
Lehrer manchmal ins Mädchenhaus hinüber, wo sie als Hausmutter ihres Amtes
waltete, und ließ ihr etwas ausrichten. Diese Botengänge waren für Fritz eine Quelle
reinster Freude, weil ihm Frau Rupp jedesmal irgendeine Kleinigkeit in die Hand
drückte. Seine Liebe zu ihr war darum noch größer als zu seinem Lehrer.
    Als er von solch einem
Botengang einmal mit zwei »Fasnetsküchle« in der Hand zurückkam, war er ganz überwältigt
und machte dem Lehrer das Geständnis: »O Herr Ruppele, du hascht halt soo a
liebe und guate Hausmutter, die mag i.« Und von der Seite ihn verschmitzt
ansehend, setzte er hinzu: »Die stehl i dir amol!«
    Die Krone all seiner
Spitzbübereien aber war folgendes:
    In einer Religionsstunde sagten
die Kinder gemeinsam das Bibelwort auf: »Mein Kind, wenn dich die bösen Buben
locken, so folge ihnen nicht.« Fritz schrie aus Leibeskräften mit. Als alle
anderen wieder schwiegen, bemerkte er: »Herr Ruppele, da kann man auch sagen: ›Mein
Kind, wenn dich die bösen Mädle locken, so folge ihnen nicht.‹« Und nach einer
kleinen Pause, in der er den Mut zu noch größerer Frechheit faßte, fügte er
hinzu: »Mein Kind, wenn dich die bösen Herr Ruppele locken, so folge ihnen
nicht.«
    Das war nun also der Lohn für
seine Arbeit, seine Liebe, seine Geduld! Aber Herr Ruppele wußte besser als der
Lehrer in ihm, was er jetzt zu tun hatte, um den Schlingel Lügen zu strafen: er
schickte ihn einfach zu seiner Frau, und siehe da — Fritzle ließ es sich nicht
zweimal sagen, sondern folgte aufs Wort!
     
    Nicht allen Kindern fiel das
Sprechen so leicht wie dem kleinen Fritz, auch wenn sie schon acht oder neun
Jahre alt waren. Vielleicht machte die Tante dann mit ihnen ein Spiel, zu dem
man sang, um ihnen die Zunge zu lösen. Auch das Ballspiel oder die
gymnastischen Übungen waren eine Gelegenheit, das Sprechen zu üben. Da hieß es
dann: »Rechter Arm, linker Arm, rechtes Bein, linkes Bein, auf und ab, rüber,
nüber usw.«
    Bei der kleinen Ursel aber half
das alles nichts, ob sie die Lehrerin nun einzeln vornahm oder im Chor
sprechen, singen, üben ließ. Sie sprach nicht. Alles Bitten, Locken, Ermahnen
half nichts, die Lehrerin brachte kein Wort aus ihr heraus. Nicht daß sie taub
gewesen wäre, sie verstand alles, was die anderen

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