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Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten

Titel: Das Schloß der Barmherzigkeit - Geschichte und Auftrag der Anstalt Stetten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Teufel
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Vergnügen auf dem kleinen Fritz, mit dem er sich - bei gegenseitigem
Wohlwollen — in dauerndem Kriegszustand befunden hatte. Der Dreikäsehoch von
1,26 m brachte seine Zuneigung dadurch zum Ausdruck, daß er ihn, der immerhin
die stattliche Größe von 1,80 m besaß, stets mit »Herr Ruppele« anredete. Kein
anderer erlaubte sich diese Vertraulichkeit; Fritzle war sie
selbstverständlich. Höchstens wenn er sich gegenüber seinem Lehrer in einer
schwierigen Lage befand, bediente er sich des Titels, tun ihm dadurch zu
verstehen zu geben, daß er seine Autorität im Notfall respektiere und bereit
sei, mit ihm Frieden zu schließen. Es verging fast kein Tag, an dem es nicht,
zur Erheiterung der Klasse, Plänkeleien zwischen den beiden gab. Aber war Fritz
einmal krank, so vermißten ihn alle, auch der Lehrer.
    Es war eine kleine Klasse mit
nur dreizehn Schülern. Täglich wurden hier heilgymnastische Übungen gemacht,
die den Zweck hatten, körperliche Verkrampfungen zu lösen und so in den
Kindern, die am Anfang meist still und teilnahmslos dasaßen, Bewegung und Leben
und auch ein Gefühl der Gemeinschaft zu wecken. Dafür hatten die Schreiner und
Schlosser der Anstalt handfeste Tische und Stühle hergestellt, mit deren Hilfe
das Schulzimmer jederzeit in einen Gymnastikraum verwandelt werden konnte. Wer
an einem solchen Schulzimmer vorüberkam, hörte oft einen fast ohrenbetäubenden Lärm.
Wenn er die Tür öffnete, sah er vielleicht die Kinder auf den Tischen liegen
und nach dem Kommando des Lehrers alle möglichen Arm-, Bein- und
Rumpfbewegungen ausführen. Sie sprangen auch von den Tischen herunter, anfangs
ängstlich und zögernd, nachher mit Eifer und Mut. Die Stühle wurden zu
Turngeräten, die man nebenund übereinander stellte, unter denen man
durchkriechen oder über die man wegspringen konnte, je nachdem man Lust hatte
oder der Lehrer dazu aufforderte. Meist geschah alles im Takt und Rhythmus, der
Lehrer zählte dazu, und die Kinder lernten dabei spielend zählen.
    Fritz war neun Jahre alt, als
er zu Rektor Rupp in die Schule kam. Er war von Anfang an voller
Widerspruchsgeist. »Wenn i aber net folg, Herr Ruppele, was tust du no?« Wollte
ihn Rupp dann fassen, rannte der Fritz davon und brachte mit affenartiger
Geschwindigkeit einen Stuhl oder Tisch oder auch einen Mitschüler zwischen sich
und seinen Verfolger. Erst auf energischen Befehl begab er sich wieder an
seinen Platz und lachte spitzbübisch: »Ätsch Gäbele, net verwischt!«
    Gesang wurde eifrig betrieben.
Wer nicht sprechen konnte oder wollte, lernte es vielleicht beim Singen. Manche
konnten einwandfrei ganze Liedchen singen, auch wenn sie sonst kaum ein Wort
über die Lippen brachten. Es mochte zunächst ein unverständliches Kauderwelsch
sein, aber plötzlich kamen dann aus einem Brei von Lauten einzelne Wörter, und
immer mehr Wörter folgten. Darum sollten alle mitsingen, besonders wenn sie
noch Schwierigkeiten mit dem Sprechen hatten, wie es auch bei Fritz der Fall
war. Manchmal paßte es ihm aber einfach nicht. Dann sagte der Lehrer:
    »Fritz, du singst ja nicht mit,
ich habe nichts von dir gehört.«
    »Doch, doch, i hab dsunge, aber
die andere singen so laut, daß mr mi net hört.«
    »Alle andern hab ich gehört,
nur dich nicht!«
    »Dann mußt du deine Ohre ebe
besser aufspitze.«
    Wenn es aber still sein sollte,
fing er zu reden an. War die Klasse mit Schreiben beschäftigt, herrschte tiefe
Stille. Alles war eifrig bei der Arbeit. Dem Fritzle schien das wohl zu
langweilig, denn plötzlich ertönte seine Stimme: »Morga isch’s Herr Ruppele
krank!«
    Die Köpfe fuhren hoch; die
einen starrten auf den Frechdachs die andern auf den Lehrer. Die schöne Ruhe
war dahin. Einer rief: »O Fritz, was schwätzscht au!« Er aber blieb dabei:
»Doch, doch, weil er nix schwätzt. Alle Leut, wo nix schwätze, sen krank.«
    Vergebens versicherte ihm der
Lehrer, daß er ihm diesen Gefallen nicht tun werde. Fritz hörte gar nicht mehr
darauf, er hatte erreicht, was er gewollt hatte: die langweilige Stille war
gebrochen. Schließlich beendete der Lehrer die Unterhaltung: »Jetzt ist genug
geschrieben; wir lesen wieder.«
    Fritzle hatte gesiegt: »Jawohl,
‘s Göschle mueß au mol wieder ebbas schaffe!«
    Immer wieder mußte der Lehrer
mahnen, daß die Kinder, um ihre Sprechmuskeln mehr zu bewegen, den Mund weit
aufund zumachen sollten. Das sei doch gar nicht schwierig; wenn es »Spätzle« zu
essen gebe oder andere gute Sachen, dann machten sie den

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