Das Schloss der tausend Sünden
bestückt war. Selbst der Teil Europas, aus dem er stammte, schien zu ihrer Theorie zu passen.
Belinda fing an zu zittern, als der Graf sich erhob und um den Tisch herum auf sie zukam. Sie kam sich völlig idiotisch vor, weil sie ihre Gefühle nicht kontrollieren konnte, doch als er mit leichtem Lächeln über ihr stand, konnte sie keinen Muskel bewegen und kein Wort sagen.
«Was ist denn los?», fragte er mit sanfter Stimme und streckte ihr seine Hand entgegen. «Haben Sie Angst vor mir?»
Belinda leckte sich über die Lippen. Sie war in der Gewalt eines Wesens, das die sexuelle Anziehungskraft einer ganzen Legion von Film-Draculas hatte. Und selbst wenn er nur ein normaler Mann aus Fleisch und Blut sein sollte, konnte diese Tatsache ihre wachsende Angst nicht mindern.
«Belinda?», fragte er mit einer winzigen, ermutigenden Geste seiner Fingerspitzen.
«V-v-verzeihen Sie, ich glaube, ich habe zu viel Wein getrunken», antwortete sie und fand endlich die Stärke wieder, seine Hand zu ergreifen. «Mir sind nur gerade die albernsten Gedanken durch den Kopf gegangen.» Als sieaufstand, rechnete die junge Frau fast mit einer Ohnmacht, stand zu ihrer Überraschung aber recht fest auf den Beinen.
«Erzählen Sie mir davon», forderte André sie auf, klemmte ihre Hand unter seinen Arm und führte sie zur Tür. «Unterhalten Sie mich, während wir über die Terrasse schlendern. Ich tue gern ein paar Schritte nach dem Essen.» Er tätschelte mit kühlen, aber wenig geisterhaften Fingern ihre Hand.
«Das waren alberne Gedanken. Ich kann sie Ihnen unmöglich verraten», sträubte sie sich, während er sie über einen unbekannten Flur führte, der anscheinend direkt zum Mittelpunkt des Anwesens führte.
«Versuchen Sie es doch», drängte er, als sie eine eisenbeschlagene Tür erreichten, die nur jemand von der Größe Orens öffnen konnte. «Ich habe zu meiner Zeit mancherlei haarsträubende Geschichten gehört … Und nicht nur das, ich habe auch welche erzählt.» Grinsend ließ er ihren Arm los. Dann öffnete er ohne jede sichtbare Kraftanstrengung die riesige Tür.
Die Terrasse war sehr breit – eingefasst von einer Steinbrüstung und mit einer ganzen Reihe von Öllampen beleuchtet. Der Himmel leuchtete mittlerweile in einem tiefen Dunkelblau, in dem sich nur die hellsten Sterne behaupten konnten. Über ihnen hing wie ein geblähtes Segel der Dreiviertel-Mond. Belinda atmete tief ein und sog den Duft der vielen Blumen in sich auf, der eine vollendete Harmonie mit Andrés Rasierwasser bildete.
«Das ist ja hinreißend», murmelte sie und eilte dann zu dem kunstvoll ornamentierten Steingeländer, um einen Blick auf den Garten unter ihnen zu erhaschen.
Wieso habe ich die Terrasse vorhin noch nicht gesehen?, fragte sie sich, als sie in einiger Entfernung zu ihrer Linken den Pavillon entdeckte. Sie hatte das Anwesen heute Morgenbei hellem Tageslicht betreten und keine Spur von dieser langen Terrasse entdeckt. Das ganze Haus schien sich mit jeder Stunde zu verändern.
Als die junge Frau sich über die Brüstung lehnte, spürte sie Andrés Gegenwart, noch bevor sie ihn hörte. «Sie wollten mir doch erzählen, was Sie gerade eben gedacht haben», sagte er und legte den Arm um ihre Taille. Obwohl sie eigentlich völlig Fremde waren, wirkte es wie die natürlichste Sache der Welt, und Belinda hatte das Gefühl, sie würden genau dort weitermachen, wo sie heute Nachmittag in der Bibliothek aufgehört hatten. Da spürte sie auch schon, wie sein Mund über die heiße Haut an ihrem Hals fuhr.
«Ich …» Fast schwankend lehnte sie sich gegen ihn. Seine Lippen waren immer noch auf ihren Hals gepresst, und ihre wirren Gedanken von vorhin ließen sie befürchten, dass er jeden Moment über sie herfallen würde.
«Wieso haben Sie Angst vor mir, Belinda?», flüsterte er und hauchte einen federleichten Kuss auf ihre Wange. «Ich bin nicht das, wofür Sie mich halten. Ich bin nur ein Mann, der von Ihrer Schönheit entzückt ist.»
Er weiß, was ich denke, stellte Belinda bestürzt fest, während André sie geschickt umdrehte und die Arme um sie legte. Er weiß, dass ich ihn vorhin für einen Vampir gehalten habe. Er weiß, dass ich immer noch glaube, er könnte einer sein.»
Der Graf hielt ihren Kopf in den Händen und presste seine Lippen auf ihren Mund. Seine Zunge verlangte nach Einlass, doch Belinda versuchte, die Lippen geschlossen zu halten. Der Verstand zumindest schickte diese Nachricht an ihren Mund, doch
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