Das Schloss Im Moor
rechten Hand hält und nach Zeit und Ortsberechnung genau und scharf seine
Befehle gibt.
Mit eiserner Faust hält der Steuermann das Rad umklammert, und gespannt blickt und horcht er auf den Kommandanten.
Das Leben aller hängt an einem Wort, an einer einzigen Drehung des Steuerrades, und das fühlt jedermann an Bord,
daher eine geradezu wahnsinnige Aufregung alle erfaßt.
Selbst die Offiziere empfinden Sorge, ja Angst ob der Tollkühnheit des Kapitäns, der alles wagt im Angesicht des
lauernden Todes.
Da plötzlich ein Windstoß, der ein klaffendes Loch in das Nebelchaos reißt, eine Brise steift sich auf,
der Nebel steigt höher, blauer Himmel lacht dazwischen, der ganze phäakische Zauber ist mit einem Male da, der
Dampfer liegt am Eingang zum Hafen vor Korfu, vor der Stadt des »Alkinoos«.
Ein Viertelstündchen später legte die »Venus« am Hafen zu Korfu an, die gefährliche Nebelfahrt
ist glücklich beendet.
Theo verließ, bleich bis in die Lippen, das Schiff, und noch am Hafen stehend, erkundigte er sich nach der
nächsten Schiffsgelegenheit zurück nach Triest.
Vergeblich suchte ihn Wurm zu einem, wenn auch kurzen, Aufenthalt in Korfu zu bewegen.
Fräulein Senta hielt sich an Theos Seite und erklärte mit aller Bestimmtheit, mit Herrn Tristner möglichst
sofort nach Triest zurückreisen zu wollen; die Überfahrt habe sich auf ihre Nerven gelegt, sie verzichte auf jedes
Engagement in Korfu und wollte nach Deutschland zurück.
Auf dem Dampfer »Poseidon« fuhren die Herrschaften noch am gleichen Tage durch den nun klaren Kanal gen
Norden, erschauernd die Meerenge und Felsenwildnis betrachtend, die am Morgen bei dichtestem Nebel ohne Unfall durchfahren
worden war.
Erst auf festem Lande, in Triest, fand Theo innere Ruhe und mit dem Humor die Lebenslust wieder, doch wollte er den
Nachtzug nach Wien benützen, um möglichst rasch Schloß Ried zu erreichen, wohin zu kommen er aus
Höflichkeit Fräulein Senta einlud.
»Möglich, daß ich gelegentlich komme!« meinte die schöne Dame, »zunächst fahre ich
mit nach Wien!«
Wurm besorgte alles, ein reichliches Trinkgeld verhalf zu einem reservierten Abteil für Theo und die Dame. Wurm
selbst löste sich ein Billett erster Klasse und richtete sich auf rotem Samt häuslich ein zu bequemer Fahrt, das
Pärchen seinem Schicksal überlassend.
Zehntes Kapitel
Amtsrichter Doktor Thein saß in seinem kahlen Büro am aktenreichen Schreibtische und wollte einen Akt vom
Obergericht lesen, doch die Gedanken weilten im Schloß Ried. Seit dem letzten Besuch bei Tristners war es dem hageren,
als verknöcherten Amtsmenschen verschrienen Doktor seltsam um das Herz geworden. Zunächst erinnerte sich Thein,
daß sein Leben nicht ausschließlich den Gerichtsakten und der Aburteilung straffälliger Mitmenschen gewidmet
werden müsse, daß er eigentlich im allerschönsten Alter stehe und mit knapp zweiunddreißig Jahren
berechtigt sei, sich nach einer Gattin umzusehen. Ist ein junger Mann bei solcher Erinnerung angelangt, pflegt auch das Herz
eine um so lebhaftere Tätigkeit zu entfalten, wenn ein Fräulein vorhanden ist, dem Gefühle der Verehrung
entgegengebracht werden können. Ganz plötzlich war über Doktor Thein die Erkenntnis gekommen, daß Olga
Tristner eine herrliche Frau für ihn sein könnte, passend in jeder Beziehung. Ja, hätte Olga Tristner den von
Mutter Natur verliehenen grausamen Fehler im Oberkiefer nicht, dürfte der hagere Mann kaum die Augen zu dem sonst
entzückend schönen Mädchen erheben. Thein ist dem Schöpfer geradezu dankbar, daß Olga solchen
Schönheitsfehler hat. Zu weiterem Dank besteht jedoch zur Zeit keine Veranlassung, denn Thein hat nicht die geringste
Ahnung, wie eine Werbung um Olga im Hause Tristner aufgenommen werden könnte. Es ist die Zustimmung so möglich wie
eine Ablehnung, letztere würde zwar nicht das Herz vernichten, immerhin aber unangenehm sein.
Eine kuriose Seelenstimmung, dieses Wägen und Hoffen, ein Sondieren der eignen Gefühle und dabei nicht wissen,
wie die Stimmung im Herzen der Erkorenen sein wird. Viel leichter ist es, Motiven mancherlei Art im Menschenherzen
nachzuspüren, die geheimsten Falten einer Verbrecherseele zu durchforschen, als die Frage zu beantworten, ob die
wirkliche, echte Liebe im eignen Herzen wohne, und die Möglichkeit, wiedergeliebt zu werden, bestehe. Sympathie für
Olga war vorhanden, eine wahre Sehnsucht, Fräulein Tristner zur Gattin zu
Weitere Kostenlose Bücher