Das Schloss Im Moor
ganz leise: »Ja, Weibele, das ist eine böse Sach mit dir! Ich kann
dich nicht behalten, Schwerhörige müssen ins Spital gebracht werden! Du bist ganz taub, also kommst du ins
Irrenhaus! Zwangsjacke, wenig zu essen und viel Schläge!«
An der betroffenen Miene des Weibes konnte der Richter erkennen, daß jedes Wort verstanden worden ist.
»I hear' nit gut! Geh, schenk mir was!«
»Hm! Glaube nicht, daß dir der Bezirkshauptmann von Salzburg was schenkt! Und der von Zell am See erst recht
nicht.
Die Landstreicherin zuckte fast unmerklich bei Nennung dieses Ortes, beharrte aber auf Simulation absoluter Taubheit.
»Ich muß dich also per Schub nach Zell am See transportieren lassen!«
Die Landstreicherin setzte sich auf den Boden, gestikulierte wie verrückt und tat dann, als falle sie in
Ohnmacht.
Da war nun die Bescherung! Doktor Thein guckte im ersten Augenblick fassungslos auf die Landstreicherin; eine solche
Situation war ihm in der Praxis, die manche Absonderlichkeit mit sich brachte, doch noch nicht vorgekommen. Aber halt! Das
»Handbuch für Untersuchungsrichter« muß auch für diesen Fall Hilfe bringen. Flink holte Thein das
praktische Buch hervor, suchte im Kapitel über Simulation, und ein Lächeln der Befriedigung huschte über sein
Antlitz. »Gott segne dich! Du bist und bleibst unser Nothelfer!«
flüsterte Thein und wandte sich an die Simulantin, der er zurief: »So, Weibele, jetzt wirst du mit kaltem
Wasser begossen, und hernach mußt du vierundzwanzig Stunden auf Eis sitzen!«
Das Wörtchen Eis wirkte Wunder: im Nu stand das Weib auf den Füßen und flehte um Barmherzigkeit.
»Wo bist du beheimatet?«
»In Zell am See! I hab' nix g'stohlen, nur um Almosen gebettelt!«
»Na also!« Flink schrieb Thein dieses Geständnis nieder, dann fertigte er einen Schubschein aus, schellte
dem Amtsdiener und gab dem alsbald erschienenen Beamten Auftrag, die geständige Landstreicherin durch die Gendarmerie
über die Landesgrenze schaffen zu lassen.
Der Fall war erledigt dank der Eisfurcht, wie sie Zigeuner und fast alle Landstreicher hegen.
Kaum hatten das Weib und der Amtsdiener die Kanzlei verlassen, trat der Gendarmeriewachtmeister von Heilbrunn mit –
Baron Hodenberg ein.
Doktor Thein war darob weit überraschter als vorhin, als die Landstreicherin in Ohnmacht fiel. Verwundert fragte
Thein, was diese Vorführung zu bedeuten habe.
»Herr Amtsrichter!« rapportierte der Wachtmeister, »der Herr hier hat, wie ich in Erfahrung gebracht, zu
Heilbrunn mehrmals auffallend hoch Hasard gespielt. Ich habe den Herrn zur Ausweisleistung aufgefordert, die mir verweigert
worden ist. Da der Herr daraufhin plötzlich abreisen wollte, erschien mir dies verdächtig, ich habe den Herrn daher
verhaftet und liefere den Verdächtigen hiermit dem Gericht ein!«
Noch ehe Doktor Thein ein Wort gesprochen, erhob Baron Hodenberg Protest gegen seine Verhaftung und fragte entrüstet,
doch artig, welchen Verbrechens man ihn bezichtige.
Thein hatte ein peinliches Gefühl, die Pflichttreue des Wachtmeisters kam entschieden sehr ungelegen, und die Frage
des Barons war ebenso begreiflich wie sein Protest gegen eine zunächst kaum zu rechtfertigende Verhaftung. Aber da diese
nun erfolgt, Hodenberg dem Gericht eingeliefert war, hatte der Amtsrichter die beschworene Dienstpflicht, den
»Fall« gewissenhaft zu untersuchen, den Verhafteten so lange in Gewahrsam zu behalten, bis sich entweder die
Schuldlosigkeit ergibt oder der Häftling belastet der Strafkammer überwiesen werden muß. Doktor Thein befahl
nun, es solle der Wachtmeister seinen Bericht sowie alle Nebenumstände der Verhaftung zu Papier und sowohl den Bericht
als auch alles Gepäck Hodenbergs zu Gerichtshänden bringen. Unterdessen werde der Baron einem Verhör
unterzogen werden.
Als sich der Wachtmeister entfernt hatte, erneuerte Baron Hodenberg seinen Protest im Tone höchster Entrüstung
und fügte die Drohung bei, daß er Beschwerde beim Justizminister erheben werde.
Doktor Thein war wieder kühl und ruhig geworden, die Überraschung war verflogen, der »Fall« war an
sich unangenehm, er mußte aber streng sachlich und dienstlich durchgenommen werden. »Bitte, Herr Baron! Wollen
wir in Ruhe Ihre Angelegenheiten besprechen! Wir kommen auf diese Weise viel rascher ans Ziel und Sie zurück in die
Freiheit, als wenn Sie drohen und protestieren! Es kann im momentanen Stadium der Angelegenheit der Justizminister auch nur
das geringste
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