Das Schloss Im Moor
aber nicht, daß der Herr Gelegenheit zu einer
Forderung finden wird.«
»Weshalb nicht?«
»Weil er die Freiheit so schnell nicht wieder erlangen wird!«
»Gott! Was sagen Sie? Sie glauben an eine Verurteilung?«
»Nein, es liegt ja, wie ich höre, kein schwerwiegendes Verbrechen vor. Doch wird das Gericht diese
Persönlichkeit ohne Ausweise kaum freigeben, solange nicht das Geheimnis der Herkunft gelüftet ist.«
»Aus Ihnen spricht Haß und Mißgunst!«
»Mitnichten, gnädiges Fräulein, ich kenne den Herrn ja fast gar nicht, weilte kaum ein Halbstündchen
in seiner Gesellschaft; wie sollte ich in solch winzigem Zeitraum von Haß erfüllt werden? Ein Gefühl hege ich
in der Brust, die Sorge, daß eine Entlarvung jenes Mannes unangenehm für das hochverehrte Hans Tristner werden
wird. Freilich ist gegen Zudringlichkeiten niemand gefeit, in die feinste Familie von ausgezeichnetem Rufe kann sich ein
Gauner eindrängen und Unheil stiften!«
»Mäßigen Sie sich in Ihren Ausdrücken! Hodenberg ein gewöhnlicher Gauner –
undenkbar!«
»Ich will gar nichts gesagt haben, gnädiges Fräulein, und wäre unglücklich, wenn ich mir Ihre
Ungnade zugezogen haben sollte. Gott ist mein Zeuge, daß ich mich den Herrschaften nicht aufdrängen will! Meine
frühere Stellung und das erhaltene Zeugnis beweisen zur Genüge, daß mir alles ferner liegt als Taktlosigkeit
und Aufdringlichkeit! Der Fall Hodenberg ist fatal in mehrfacher Hinsicht.«
»Wieso?«
»Die Klugheit gebietet, sich von dem Verhafteten loszusagen; ihn preisgeben in seiner momentanen Lage erweckt den
Anschein eines Mangels an Noblesse und Mut, man schüttelt einen lästig Gewordenen ab, und das sieht niemals gut
aus. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Hilfe kann aber andernteils dem Verhafteten nicht geboten werden, sie ist
unmöglich während der Untersuchung, auch müßte jeder Interventionsversuch den Verdacht des
Einverständnisses mit Hodenberg oder doch den Verdacht einer Sinnesgleichheit wachrufen. Die Gerichtsherren denken
manchmal recht seltsam. Ich für meine Person möchte mich vom Untersuchungsrichter nicht als Freund Hodenbergs
angucken und taxieren lassen!«
»Sie sagen also, daß Sie ein Feind des Barons sind, das glaube und fühle ich auch heraus!«
»Mitnichten, gnädiges Fräulein! Ich bin lediglich kein Freund des Verhafteten, hätte gar keinen Grund
zu einer Freundschaft mit einem Unbekannten und Unechten. Von Feindschaft kann nicht gesprochen werden, weil auch hiezu jede
Veranlassung fehlt. Kann ich aber gnädigem Fräulein irgendwie dienen, bitte über meine Wenigkeit zu
verfügen. Vielleicht läßt sich der Gerichtsvorstand bewegen, den Verhafteten einem Gericht in andrer
entfernter Gegend zur Aburteilung zu überweisen. Hier muß der Fall immer peinliches Aufsehen erregen, für die
Nerven des gnädigen Fräuleins möchte ich den baldigen Eintritt absoluter Ruhe sehnlichst
wünschen.«
»Ja, ich leide gräßlich! Vielen Dank für Ihre Anteilnahme! Gute Nacht!«
»Darf ich gnädiges Fräulein bis zum Schlosse begleiten, zur Sicherheit?«
»Danke, ist nicht nötig! Ich werde nachdenken darüber, ob Ihre Intervention nützlich sein kann. Ich
danke Ihnen!«
Ehrerbietig grüßend verabschiedete sich Wurm und folgte langsamen Schrittes dem Schloßfräulein, um
dann quer über den Schloßhof ins Dorf zu steuern, des Erfolges seines Anknüpfungsversuches sich freuend. Die
Gunst Olgas zu erringen, ist der größten Mühe wahrlich wert.
Mit einer Neuerung in der Amtsführung wußte Wurm sich rasch die Sympathie Frau Tristners zu erwerben. Der
Verwalter meldete sich jeden zweiten Tag zum Bericht bei der blinden Schloßherrin, hielt Vortrag über alle
Maßnahmen, die zu treffen sind, erholte selbst für Kleinigkeiten die Zustimmung der Besitzerin und besprach Ein-
und Auslauf der geschäftlichen Korrespondenz. Dieses freiwillige Unterwerfen unter die Kompetenz der Schloßherrin
mußte Frau Tristner um so mehr gefallen, die Sorge vor Anmaßung und Übergriffen beseitigen, als Theo nur
widerwillig dergleichen Berichte erstatten wollte. Jetzt hatte Frau Tristner trotz erloschenen Augenlichtes einen
befriedigenden Einblick in den Geschäftsgang, sie zeigte sich für das Gebaren des neuen Verwalters dankbar und
gewährte mählich wachsendes Vertrauen. Gelegentlich einer solchen Besprechung äußerte Frau Helene die
Befürchtung, daß Theo zu wenig zu tun habe und auf dumme Gedanken kommen könnte; es
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