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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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vorstellen, die Art, wie Louise sich veränderte, sobald sie drinnen war, und Floyds wachsende Panik, als ihm klar wurde, worauf er sich eingelassen hatte. Er war älter als Louise, aber auch erst neunzehn, höchstens zwanzig. Ein netter und anständiger junger Mann. Louise war ihren eigenen Worten zufolge ein bisschen zu viel für ihn. Und trotzdem hatte er gewartet, vielleicht stundenlang, um dafür zu sorgen, dass sie nach Hause kam.
    »Ich wollte sie bloß besser kennenlernen.« Er runzelte die Stirn und rieb die Theke mit einem Geschirrtuch ab. »Und das hätten Sie doch nie erlaubt. Sie hätten mir nie erlaubt, mit ihr auszugehen. Das weiß ich. Sie ist das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen habe. Ich habe jeden Tag hier darauf gewartet, dass Sie beide kommen, und ständig an sie gedacht. Ich wusste nicht, was ich sonst machen soll.«
    Cora nickte. Er hatte recht. Sie hätte ihm nicht erlaubt, Louise auszuführen. Also hatte er sich für die einzige andere Möglichkeit entschieden, sein Ziel zu erreichen.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Das Ganze tut mir leid. Und ich bin froh, dass Sie ein netter junger Mann sind.« Sie machte eine Pause, eine sehr lange Pause. »Und jetzt hätte ich gern ein Megasandwich, bitte.«
    Das Geschirrtuch verharrte. »Wie bitte?«
    »Ein Megasandwich.« Sie zeigte auf die Beschreibung auf der Speisekarte. »Und ein Glas Milch, bitte.«
    Er sah sie seltsam an. Es war ihr egal. Sie hatte gesagt, dass es ihr leidtat, und das stimmte auch, aber jetzt war sie so hungrig, dass sie am liebsten zu dem älteren Paar gegangen wäre, um dem Mann das gebutterte Brötchen direkt vom Teller zu stibitzen.
    Sie trank die Milch sofort aus, als sie gebracht wurde, und genoss das kühle Gefühl in ihrem Magen. Sie spürte noch im selben Moment, wie das Korsett sie zwickte. Aber das stimmte natürlich nicht. Das Korsett zwickte sie nicht. Es blieb unverändert. Es war ihr Magen, der sich schon von einem Glas Milch ausdehnte. Sie stellte ihr Glas ab und rutschte auf ihrem Barhocker hin und her, um besser Luft holen zu können. Sie hatte noch nicht einmal gegessen. Wie es schien, hatte sie nur zwei Möglichkeiten: ständigen Hunger oder, wenn sie eine volle Mahlzeit aß, die Rache des Korsetts. Das Nagen in ihrem Inneren oder das Kneifen von außen. Was war schlimmer? Sie wusste, dass sie vor Hunger fast umkam. Das war alles, was sie wusste.
    Es war Spätnachmittag, als sie das Lokal verließ, das Megasandwich, das köstlich gewesen war, im Magen, der Atem flach, weil ihre Taille eingeklemmt war. So voll sie sich auch fühlte, sie war nicht müde, und so lange, wie ihr Nickerchen gedauert hatte, würde sie es noch eine ganze Weile nicht sein. Die Sonne stand tief am Himmel und verbarg sich hinter den Häusern, aber der Bürgersteig und die Ziegelmauern strahlten Hitze aus. Sie konnte in die Wohnung zurückgehen, aber sie hatte ihr Buch ausgelesen. Sie hatte nichts zu tun. Sie könnte sich eine Zeitschrift kaufen. Eigentlich sollte sie sich über den freien Abend freuen, über die Ruhe und den Frieden, aber im Grunde war ein Abend ohne Louise dasselbe wie ein Abend mit Louise und unterschied sich nicht wesentlich von so vielen Abenden in ihrem Leben – Stunden, die auszuhalten waren, Stunden, die einfach überstanden werden mussten. Wie viele Dinge in ihrem Leben hatte sie auf diese Weise betrachtet?
    Sie beschloss, ins Kino zu gehen. Ihr war klar, dass sie fast jeden Film, der hier lief, einige Wochen später in Wichita anschauen konnte und dass sie die Zeit in New York, die sich dem Ende zuneigte, nicht entsprechend nutzte. Aber sie wollte sich bloß ablenken, im Dunkeln und in relativ kühler Luft sitzen und auf eine Leinwand starren, die so groß und nah war, dass alles, was es zu sehen gab, ihr Blickfeld beherrschte, eine andere Welt, die real geworden war. Sie ging zu einem Kino und entschied sich, in der Hoffnung, in den nächsten Stunden zu lachen oder wenigstens nicht nachzudenken, für ein paar Kurzfilme von Buster Keaton. Das war genau das, was sie brauchte. Leichte Unterhaltung. Etwas Zeit, um nichts zu tun, nicht zu denken.
    Das Kino hatte kein vollzähliges Orchester, sondern nur einen Pianisten und einen Oboisten, die am rechten Ende der Bühne Seite an Seite spielten. Als der erste Film anfing, lächelten beide Musiker zur Leinwand hinauf und spielten etwas Fröhliches, Schwungvolles. Keaton, der Hauptdarsteller, fand eine Brieftasche, gab sie dem Besitzer zurück und wurde

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