Das schoenste Geschenk
bückte sich, um ihre Stiefel aufzuheben. Als sie sicher war, ihm in die Augen schauen zu können, blickte sie auf. »Du kommst nicht mit?« Es war eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung. Sharon hatte seine veränderte Haltung sehr deutlich gespürt.
»Nein.« Sein Ton war wieder kühl, obwohl er sie unvermindert begehrte. »Ich gehe mich umziehen und komme dann zurück, um mit der Arbeit an der Veranda anzufangen.«
Sharon hatte damit gerechnet, von ihm verletzt zu werden. Doch sie hatte nicht geglaubt, dass es so bald geschehen würde. Die Zurückweisung schmerzte sie. »In Ordnung. Wahrscheinlich werde ich nicht zu Hause sein. Aber lass dich deshalb nicht von der Arbeit abhalten.«
Victor spürte, dass er sie verletzt hatte. Und doch schaute sie ihm direkt in die Augen und sprach ruhig und gefasst. Mit Beschuldigungen hätte er fertig werden können. Stattdessen war er total verwirrt. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass ihn eine Frau aus der Fassung gebracht hatte.
»Du weißt, was passieren würde, wenn ich jetzt mit dir hineinkäme.« Seine Worte klangen rau und ungeduldig. Am liebsten hätte er sie bei den Schultern gepackt und geschüttelt.
»Ja.«
»Willst du das etwa?«
Sharon schwieg einen Moment. Dann lächelte sie. Doch ihre Augen blieben ernst. »Ich weiß nur, dass du es nicht willst«, sagte sie ruhig. Sie wandte sich ab, um zum Haus zurückzugehen. Aber Victor fasste sie am Arm und drehte sie zu sich herum. Plötzlich war er wütend auf sie.
»Sharon! Glaubst du etwa, ich begehre dich nicht?«
»Du willst mich aber nicht begehren«, gab sie ruhig zurück. »Darin liegt das Problem.«
»Das kann dir doch egal sein«, sagte er ungeduldig. Dass sie so ruhig blieb, machte ihn verrückt. Er schüttelte sie leicht. Wie konnte sie ihn mit diesen großen tiefgründigen Augen so gelassen ansehen, wenn sie ihm noch vor wenigen Minuten den Kopf verdreht hatte? »Du weißt genau, dass ich dich beinahe auf dem nassen Gras genommen hätte. Reicht es dir nicht, dass du mich so weit treiben konntest? Was willst du noch?«
Sie blickte ihm forschend in die Augen. »Ich habe dich dazu getrieben?«, wiederholte sie ruhig. »Siehst du es wirklich so?«
Er ertrug den Konflikt in seinem Innern nicht. Am liebsten wäre er davongelaufen. »Ja«, sagte er verbittert. »Wie sollte ich es sonst sehen?«
»Ja, wie sonst?«, erwiderte sie mit zitternder Stimme. Sie lachte bitter. »Für manche Frauen wäre das wahrscheinlich ein Kompliment. Aber wie du bereits sagtest: Ich bin eine seltsame Frau.« Seufzend schaute sie ihn an. »Du hast jedes Gefühl in dir abgetötet, Victor. Und das zehrt an dir.«
»Was weißt du schon?«, schleuderte er ihr entgegen. Dass sie die Wahrheit gesprochen hatte, brachte ihn nur noch mehr gegen sie auf.
»Du bist nicht annähernd so hart und kalt, wie du glaubst«, erklärte Sharon ruhig.
»Du weißt überhaupt nichts von mir«, entgegnete er wütend und packte sie erneut beim Arm.
»Und du kannst es nicht ertragen, wenn deine sorgfältig aufgebauten Barrieren ins Wanken geraten«, fuhr Sharon unbeirrt fort. »Der Gedanke, dass du etwas für mich empfinden könntest, ist dir unerträglich. Ich bedränge dich gewiss nicht. Es ist etwas anderes, das dich bedrängt. Nein, ich weiß nicht, was es ist. Aber du weißt es.« Sie holte tief Luft. Dabei schaute sie ihm unverwandt in die Augen. »Du musst den Kampf mit dir selbst austragen, Victor.« Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging ins Haus.
7. K APITEL
Victor konnte einfach nicht aufhören, an Sharon zu denken. Er wehrte sich dagegen, doch sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Wochen vergingen, die Wälder hatten ihre bunte Herbstfärbung angenommen, und die Luft war kühl und klar. Zweimal hatte Victor Sharon durch sein Küchenfenster gesehen.
Er widmete ihrem Haus ebenso viel Zeit wie seinem. Der Umbau bei Sharon ging zügig vonstatten. Das Dach war repariert worden, und der Installateur hatte seine Arbeit erledigt. Die Küche musste jetzt nur noch frisch gestrichen werden. Der Museumsbereich war vollständig fertig, und Sharon räumte bereits eifrig die Schaukästen ein, die vor Kurzem geliefert worden waren.
Manchmal war Sharon stundenlang unterwegs und suchte auf Auktionen nach Schätzen für ihren Laden. Victor merkte immer sofort, wenn sie nach Hause kam. Denn dann wurde es im Haus wieder lebendig.
Sie hatte sich im Keller eine kleine Werkstatt eingerichtet, wo sie Möbel lagerte und aufarbeitete.
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