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Das schoenste Geschenk

Das schoenste Geschenk

Titel: Das schoenste Geschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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»Spazieren fahren?«, wiederholte er.
    »Wir sind schon wochenlang in diesem Haus«, erklärte Sharon, während sie ihn zur Treppe zog. »Ich habe mich von früh bis spät nur abgerackert. Heute ist vielleicht der letzte schöne Herbsttag.« Sie schloss die Kellertür hinter ihnen. »Ich möchte wetten, du hast noch wenig von der Gegend gesehen. Jedenfalls nicht mit einem so guten Fremdenführer wie mir.«
    »Bist du eine gute Fremdenführerin?«, fragte er mit dem Anflug eines Lächelns.
    »Die beste«, erklärte sie ohne falsche Bescheidenheit. »Es gibt nichts, was ich dir nicht erzählen könnte.«
    Sharon fuhr von der Straße ab zu einem kleinen Parkplatz, in dessen Nähe sich ein alter Turm befand. »Komm, lass uns ein wenig herumlaufen. Die Landschaft ist bezaubernd.«
    Die Sonne neigte sich bereits gen Westen, und die Luft wurde zunehmend kühler. Als sie ausstiegen, nahm Victor spontan Sharons Hand.
    Sharon blickte über die herbstliche Landschaft und nannte ihm die Namen einiger Hügel, erklärte, welche Baumarten dort wuchsen.
    Victor zog sie an sich. Es war eine kameradschaftliche, keine leidenschaftliche Geste. »Du musst eine fantastische Lehrerin gewesen sein«, sagte er ruhig.
    »Ich war gut im Geschichtenerzählen«, verbesserte sie.
    Bevor er darauf noch etwas erwidern konnte, lachte sie. Freundschaftlich drückte sie seine Hand. »Und jetzt ist Schluss mit dem Unterricht. Ich habe heute genug geredet. Komm, lass uns auf den Turm steigen.« Und schon rannte sie los und zog Victor mit sich. »Du kannst von dort oben meilenweit sehen«, erklärte sie, während sie die schmalen Eisenstufen emporstiegen.
    Es war dämmrig im Turm, obwohl die schmalen Schlitze in den Steinmauern ein wenig Sonnenlicht durchließen. Je höher sie stiegen, desto heller wurde es, und als sie endlich auf der kleinen Aussichtsplattform ins Freie traten, blendete sie im ersten Moment die plötzliche Helligkeit.
    Sharon beugte sich über die dicke Steinmauer und ließ sich den Wind ins Gesicht wehen. »Wie schön alles von hier oben aussieht!«, rief sie. »Einen besseren Tag als heute hätten wir uns überhaupt nicht wünschen können. Schau dir nur diese Farben an!« Sie zog Victor zu sich an die Brüstung. »Siehst du diesen Berg dort unten? Das ist unserer.«
    Unser Berg, dachte Victor. Lächelnd schaute er in die Richtung, in die Sharon deutete. Sie hatte das so gesagt, als gehöre dieser Berg nur ihnen beiden ganz allein. Hinter den dicht bewaldeten Hügeln konnte er in einem blauen Dunstschleier die Berge erkennen. Er sah vereinzelte Bauernhäuser und Scheunen und die geschlosseneren Siedlungen der umliegenden Dörfer. Als er zu einem Maisfeld hinüberschaute, sah er zwei riesige Krähen auffliegen. Krächzend stiegen sie in den Himmel und segelten davon. Nachdem sie verschwunden waren, wurde es so still, dass er die trockenen Blätter der Maisstauden im Wind rascheln hörte.
    Und dann sah er den Rehbock. Er stand kaum zehn Meter von Sharons Wagen entfernt unbeweglich wie ein Standbild da. Victor schaute Sharon an und deutete hinunter. Schweigend, Hand in Hand, beobachteten sie das Tier. Victor spürte plötzlich, wie der Druck, der seit so vielen Jahren auf ihm lastete, langsam wich. Auf einmal hatte er das Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein. Während ihm klar wurde, worin die Antwort auf sein Problem bestand, spürte er, wie seine Verbitterung allmählich schwand. Sharon hatte recht gehabt. Er hatte sich als Opfer betrachtet, weil er mit seiner Wut einfacher fertig werden konnte als mit dem Wagnis, sich einem anderen Menschen zu öffnen.
    Der Rehbock sprang davon, lief über eine Wiese, setzte anmutig über ein niedriges Steinmäuerchen und verschwand aus ihrer Sicht.
    Sharon seufzte. »Jedes Mal, wenn ich ein Reh sehe, bin ich aufs Neue fasziniert«, sagte sie und schaute zu ihm auf.
    Victor erschien es ganz natürlich, sie hier zu küssen, inmitten der Berge und Felder, die sie umgaben, mit dem Gefühl, gerade ein Erlebnis mit ihr geteilt zu haben. Jetzt endlich schenkte er ihr die Zärtlichkeit, die Sharon immer bei ihm vermutet hatte. Sein Kuss war begehrend, aber nicht fordernd, seine Hände stark, doch nicht grob.
    Sie spürte ihr Herz klopfen. Mit welcher Sehnsucht hatte sie auf diesen Moment gewartet, auf diese Bestätigung, dass ihre Ahnung sie nicht getrogen hatte. Jetzt wusste sie, dass sich tatsächlich Warmherzigkeit und Güte unter seiner rauen Schale verborgen gehalten hatten.
    Victor zog sie

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