Das schwarze Buch der Geheimnisse (German Edition)
geben, aber mehr war nicht zu erfahren. Wie oft hatte er schon Polly gefragt, ob sie nicht wisse, was das alles zu bedeuten habe. Aber sie hatte ihn nur verständnislos angeschaut.
Wenn ich es wüsste, dachte Jeremiah, könnte ich ja vielleicht etwas dagegen tun. Doch was es auch für Geschäfte sein mochten, die nachts dort oben getätigt wurden, kein Mensch sprach je darüber. Da zog Jeremiah seine eigenen Schlüsse und erklärte es sich so, dass die ganze Geheimnistuerei Teil der Verschwörung gegen ihn sein müsse. Angesichts dieses Ergebnisses drängte es ihn nur umso mehr, die Wahrheit zu erfahren.
Und so lauerte Jeremiah eines Morgens dem ältesten Sohn des Bäckers an der Küchentür auf, als dieser das Brot brachte. Er packte den Jungen am Kragen.
»Ich will, dass du einen kleinen Auftrag für mich erledigst«, knurrte er.
»Bekomme ich was dafür?«, fragte der Junge.
Jeremiah lachte, und der arme Junge durfte einen Panoramablick in seinen Mund werfen: auf die belegte Zunge, das fleischige Gaumenzäpfchen und die fleckigen Zähne samt den Essensresten, die noch vom gestrigen Abend dazwischenhingen.
»Ich werd dir sagen, was du bekommst, wenn du’s nicht tust«, zischelte er. »Ich sag deinem Vater, dass ich dich erwischt habe, wie du in meiner Küche rumgeschlichen bist und was zum Stehlen gesucht hast. Das hier zum Beispiel!« Und mit einer Fingerfertigkeit, die selbst Joe verblüfft hätte, gelang es Jeremiah irgendwie, dem Jungen einen silbernen Kerzenhalter aus der Tasche zu ziehen, was den armen Kerl in Tränen ausbrechen ließ.
Jeremiah lockerte seinen Griff. »Tu, was ich dir sage«, flüsterte er, »dann passiert dir nichts. Du musst nur in Erfahrung bringen, was oben beim Pfandleiher vor sich geht.«
Der Junge zögerte, aber die Drohung mit seinem Vater genügte. Er hatte wirklich keine Wahl. Eine Woche lang verbarg er sich jede Nacht hinter der Ecke des Ladens und stand von Mitternacht an Stunde um Stunde in der eisigen Kälte. Und jede Nacht passierte das Gleiche. Er hörte knirschende Schritte im Schnee und ein Klopfen an der Tür. Er beobachtete, wie Joe dem Besucher etwas zu trinken gab und wie er ihn am Kaminfeuer Platz nehmen ließ. In der Ecke sah er Ludlow sitzen, der eifrig in ein großes schwarzes Buch schrieb. Was gesprochen wurde, konnte er nicht hören, aber er erriet schnell, was in den Lederbeuteln war, die Joe jedes Mal am Ende der Sitzung überreichte. Schließlich fand er, dass er nun so viel wiemöglich wusste (auch fürchtete er zunehmend, Joe könnte ihn gesehen haben). Am Ende der Woche fand er sich also wieder in Jeremiahs Arbeitszimmer ein.
»Und?«, fragte Jeremiah aufgeregt. »Was hast du herausgefunden?«
»Sie reden mit Joe, und Ludlow schreibt alles, was sie sagen, in ein großes schwarzes Buch.«
»Und sonst nichts?« Das war nicht das, was Jeremiah erwartet hatte.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Was sie ihm erzählen, ist Geld wert. Joe zahlt dafür Beutel voll Geld. Gestern war Dr. Mouldered oben. Ich konnte nicht hören, was er gesagt hat, aber so wie er aussah, muss es was Wichtiges gewesen sein. Und ich weiß, dass auch mein Vater schon dort war.«
Das wusste Jeremiah auch: Elias Sourdough hatte fast seine ganzen Mietschulden zurückgezahlt.
»Und was ist mit dem Frosch?«, fragte Jeremiah verzweifelt. Er konnte nicht erkennen, wie ihn diese Auskünfte in irgendeiner Weise weiterbringen sollten.
»Er heißt Saluki. Joe behandelt ihn wie etwas ganz Besonderes. Keiner darf ihn anfassen, aber manchmal sitzt er bei Joe auf der Hand. Könnte mir denken, dass der ein paar Shilling wert ist. So was wie diesen Frosch hab ich noch nie gesehen.«
Jeremiah war verblüfft. Nachts im Bett grübelte er über das, was er gehört hatte, und allmählich dämmerte es ihm, dass ihm der Bäckerjunge eigentlich genau das geliefert hatte, was er wissen musste.
»Das Buch«, sagte er laut, und schon saß er kerzengerade im Bett. »In dem Buch liegt die Antwort.«
Jeremiahs Gedanken rasten. Egal, was in dem Buch stehen mochte, Joe zahlte gut dafür. Also erschien es ihm logisch, dass Joe, sollte er dieses Buch verlieren oder sollte es ihm gestohlen werden, auch gut bezahlen würde, um es zurückzubekommen. Oder noch besser, vielleicht wäre er einverstanden, Pagus Parvus zu verlassen und für die Rückgabe des Buches zu zahlen. Wäre Joe erst fort, wären Jeremiahs Probleme mit einem Schlag gelöst. Seine Erregung wuchs. Was für eine prächtige Rache für all die
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