Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
KDCU-Scheckbuch bewacht. Er gleicht einem Fabeldrachen, der es sich auf seinen Bergen von Gold bequem macht (nicht dass es auf den KDCU-Konten Berge von irgendwas gäbe; in diesem Zusammenhang soll wiederholt werden, dass die Station als Mittelwellensender von Glück sagen kann, dass sie überhaupt noch existiert).
Morris’ überraschter Gesichtsausdruck – man könnte ihn mit gutem Recht unbehaglich überrascht nennen – löst sich in
ein Lächeln auf. »Wow, Mr. Leyden! Gut gemacht! Das nenne ich feine Ohren!«
Dann runzelt er die Stirn. Selbst wenn Mr. Leyden – der wie gesagt direkt unter dem Außenlautsprecher steht – gehört hat, dass jemand rausgekommen ist, wie um Himmels willen weiß er dann, wer dieser Jemand ist?
»Woher haben Sie gewusst, dass ich das bin?«, fragt er.
»Hier gibt’s nur zwei Leute, die morgens nach Marihuana riechen«, sagt Henry Leyden. »Der eine spült nach seinem Morgenjoint mit Mundwasser nach; dem anderen – das sind Sie, Morris – ist das scheißegal.«
»Wow«, sagt Morris respektvoll. »Das ist echt total abgedreht.«
»Ich bin total abgedreht«, sagt Henry zustimmend. Er spricht leise und nachdenklich: »Das ist ein schwieriges Los, aber irgendwen trifft es eben. Was Ihr morgendliches Rendezvous mit dem zweifellos schmackhaften Thai-Stick betrifft – darf ich Ihnen einen Aphorismus aus den Appalachen anbieten?«
»Nur zu, Mann.« Für Morris ist dies die erste richtige Unterhaltung mit Henry Leyden, der sich als genau der Intellektuelle herausstellt, als der er Morris angepriesen wurde. Sogar über Erwarten. Morris erscheint es nicht mehr unglaublich, dass er eine weitere Identität haben könnte … eine geheime Identität, so wie Bruce Wayne. Aber trotzdem … irgendwie abartig .
»Was wir in unserer Kindheit tun, wird zur Gewohnheit«, sagt Henry in dem gleichen sanften, ganz und gar nicht zu George Rathbun passenden Tonfall. »Das ist mein Ratschlag für Sie, Morris.«
»Yeah, klar doch«, sagt Morris. Er hat keine Ahnung, wovon Mr. Leyden redet. Er streckt langsam, schüchtern seine Hand mit der CD-Hülle aus. Da Henry keine Bewegung macht, um sie entgegenzunehmen, fühlt Morris sich für einen Augenblick wie zermalmt: Er ist plötzlich wieder sieben und versucht, seinen stets viel beschäftigten Vater mit einem Bild zu beeindrucken, das er den ganzen Nachmittag lang in seinem Zimmer gemalt hat. Dann denkt er: Er ist blind, Blödmann. Er
kann vielleicht riechen, dass du gekifft hast, und mag Ohren wie eine Fledermaus haben, aber woher soll er wissen, dass du ihm’ne beschissene CD hinhältst?
Zögernd, über seine Kühnheit selbst etwas erschrocken, greift Morris nach Henrys Handgelenk. Er spürt, wie der Mann leicht zusammenfährt, aber dann lässt Leyden zu, dass seine Hand zu der schmalen Hülle geführt wird.
»Ah, eine CD«, sagt Henry. »Und was ist da drauf, bitte schön?«
»Den siebten Track müssen Sie heute Abend unbedingt in Ihrer Sendung auflegen«, sagt Morris. »Bitte.«
Henry wirkt erstmals beunruhigt. Er zieht an seiner Zigarette, lässt sie dann (natürlich ohne auch nur hinzusehen, haha) in den mit Sand gefüllten Plastikeimer neben der Tür fallen.
»Welche Sendung meinen Sie denn?«
Statt ohne Umschweife zu antworten, macht Morris mit den Lippen zunächst rasche kleine Schmatzlaute – die Geräusche eines kleinen, aber gefräßigen Raubtiers, das einen Leckerbissen verzehrt. Und um alles noch schlimmer zu machen, lässt er dann den zum Markenzeichen der Wisconsin Rat gewordenen Ausspruch folgen, den Leute in Morris’ Alter ebenso gut kennen, wie George Rathbuns heiserer Ausruf »Sogar ein Blinder …« bei der älteren Generation bekannt ist: »Kaut’s runter, esst’s auf, spült’s runter, aaalles kommt an der gleichen Stelle raus! «
Auch wenn diese Imitation nicht sonderlich gelungen ist, steht außer Frage, wen er imitiert: die einzigartige Wisconsin Rat, deren zur Hauptsendezeit von KWLA-FM gesendetes Abendprogramm im Coulee Country geradezu berühmt ist (nur dass »berüchtigt« vermutlich zutreffender wäre). KWLA ist ein winziger College-Sender in La Riviere, kaum mehr als ein Fliegendreck auf der Rundfunkkarte von Wisconsin, aber die Zuhörerschaft der Wisconsin Rat ist riesig.
Und wenn irgendjemand rauskriegen würde, dass der gemütliche George Rathbun, der für die Brew Crew Stimmung machte, die Republikaner wählte und auf Mittelwelle sendete, auch die Wisconsin Rat war – die einmal live einen vergnügten
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