Das Schweigen der Laemmer
Monaten tot.
Auf einer Untertasse in der Ecke Katzenfutter, hart und schwarz.
Starling, erprobte Stylistin für Hinterhofverkäufe, stand in der Mitte des Zimmers und drehte sich langsam um. Fredrica hatte ziemlich gute Arbeit mit dem geleistet, was ihr zur Verfügung stand. Da gab es Vorhänge aus geblümten Chintz. Den paspelier-ten Säumen nach zu urteilen, hatte sie für die Vorhänge einige Schonbezüge aufgearbeitet.
Da gab es eine Merkwand mit einer darangepinnten Schärpe.
Mit Glitter war BHS BAND auf die Schärpe gedruckt. Ein Poster der Künstlerin Madonna hing an der Wand und ein weiteres von Deborah Harry und Blondie. Auf einem Regal über dem Schreibtisch konnte Starling eine Rolle der hellen selbstklebenden Tapete erkennen, mit der Fredrica ihre Wände tapeziert hatte. Es war keine großartige Sache, aber besser als ihr erster eigener Versuch, dachte Starling.
In einem Durchschnittshaushalt wäre Fredricas Zimmer fröhlich gewesen. In diesem trostlosem Haus war es schrill; es schwang ein Echo der Verzweiflung darin mit. Fredrica stellte keine Fotos von sich zur Schau.
Starling entdeckte eins im Schuljahrbuch auf dem kleinen Bü-
cherregal, Gesangsverein, Hauswirtschaftsclub, Sew 'n' Sew (der Nähdub), Band, 4-H Club (der Landwirtschaftsclub) - vielleicht dienten die Tauben als ihr 4-H-Projekt.
Fredricas Schuljahrbuch enthielt einige Unterschriften. ›Für eine tolle Kameradin‹ und ›ein tolles Mädchen‹ und ›meinen Che-miekumpel‹ und ›Erinnerst du dich an den Backwarenverkauf?!!«
Konnte Fredrica ihre Freunde mit hier hochbringen? Hatte sie eine Freundin, die so gut war, daß man sie jene Treppen unter dem Giebel mit hochbringen konnte? Neben der Tür stand ein Schirm.
Schau dir dieses Bild von Fredrica an, hier steht sie in der vor-dersten Reihe der Band. Fredrica ist breit und dick, aber ihre Uniform paßt besser als die der anderen. Sie ist groß, und sie hat schöne Haut. Ihre unregelmäßigen Züge vereinigen sich zu einem angenehmen Gesicht, doch konventionellem Standard nach sieht sie nicht attraktiv aus.
Kimberly Emberg war ebenfalls nicht das, was man als gewin-nend bezeichnend würde, nicht für das geistlose Gaffen in der High School, und auch einige der anderen Opfer waren es nicht.
Catherine Martin allerdings erschien jedem attraktiv, eine große, gutaussehende junge Frau, die gegen die Speckpolster würde angehen müssen, wenn sie dreißig war.
Vergiß nicht, er sieht Frauen nicht an, wie ein Mann sie ansieht, Konventionell attraktiv zählt nicht. Sie müssen nur glatt, weich und ausladend sein.
Starling überlegte, ob er Frauen als ›Häute‹ ansah, in der Art, wie manche Kretins sie ›Fotzen‹ nennen.
Sie wurde sich ihrer eigenen Hand bewußt, die die lobenden Zeilen unter den Jahrbuchbildern nachfuhr, wurde sich ihres ganzen Körpers bewußt, des Raums, den sie ausfüllte, ihrer Figur und ihres Gesichts, deren Wirkung, der Macht in ihnen, ihrer Brüste über dem Buch, ihres straffen Bauchs dagegen, ihrer Beine darunter. Was aus ihrer Erfahrung ließ sich anwenden?
Starling sah sich selbst in dem Ganzfigurspiegel an der entge-gengesetzten Wand und war froh, anders zu sein als Fredrica. Sie wußte aber, daß der Unterschied ein Mutterboden in ihrem Den- ken war. Konnte er sie davon abhalten, etwas zu sehen, und wenn
, was?
Wie wollte Fredrica erscheinen? Wonach war sie hungrig, wo suchte sie es? Was versuchte sie in bezug auf sich selbst zu tun?
Hier waren ein paar Diätpläne, die Fruchtsaftdiät, die Reisdiät und ein verrückter Plan, wo man bei einer Mahlzeit entweder nur ißt oder trinkt.
Organisierte Diätgruppen - beobachtete Buffalo Bill sie, um große Mädchen zu finden? Schwer nachzuprüfen. Starling wußte aus der Akte, daß zwei der Opfer Diätgruppen angehört hatten und daß man die Mitgliedslisten verglichen hatte. Ein Agent aus dem Büro von Kansas City, dem traditionellen FBI-Bureau für dicke Jungs, und einige übergewichtige Polizisten waren abgestellt worden, um im Slenderella und im Diätzentrum zu trainie -
ren und sich Weight Watchers und anderen Diätgruppen in den Städten der Opfer anzuschließen. Sie wußte nicht, ob Catherine Martin zu einer Diätgruppe gehörte. Bei organisiertem Diäthalten wäre Geld für Fredrica ein Problem gewesen.
Fredrica hatte mehrere Ausgaben von Big Beautiful Girl, einer Zeitschrift für große Frauen. Hier wurde ihr geraten, mach New York City zu kommen, wo man Neuankömmlinge aus Teilen der
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