Das Schweigen der Laemmer
ange-messenen Zugang zu Büchern haben.« Sie schaute auf.
Schweigen kann verhöhnen.
»Das Beste, das Bemerkenswerteste: Einmal pro Jahr werden Sie das Krankenhaus verlassen und hierher fahren.« Sie legte eine Landkarte in das Essenstablett. Dr. Lecter zog sie nicht durch.
»Plum Island«, fuhr sie fort. »Jeden Nachmittag der betreffen-den Woche können Sie am Strand Spazierengehen oder im Ozean schwimmen, wobei man Sie nur aus siebenhundert Metern über-wachen wird, allerdings wird es SWAT-Überwachung sein, Überwachung durch ein Sondereinsatzkommando. Das war's.«
»Wenn ich ablehne?«
»Vielleicht könnten Sie ein paar Gardinen in der Zelle aufhängen. Es könnte unter Umständen helfen. Wir haben nichts, womit wir Ihnen drohen können, Dr. Lecter. Ich kann Ihnen nur eine Möglichkeit bieten, das Tageslicht zu sehen.«
Sie sah ihn nicht an. Sie wollte es in diesem Moment nicht mit starrenden Blicken aufnehmen. Dies war keine Konfrontation.
»Wird Catherine Martin zu mir kommen und mit mir reden -
nur über den, der sie gefangengenommen hat -, wenn ich mich zu Hinweisen entschließe? Ausschließlich mit mir reden?«
»Ja. Das können Sie als gegebene Tatsache annehmen.«
»Wieso wissen Sie das? Von wem gegeben?«
»Ich werde sie -selbst bringen.«
»Wenn sie kommen will.«
»Wir müssen sie doch zuerst fragen, oder?«
Er zog das Tablett durch. »Plum Island.«
»Schauen Sie vor der Spitze von Long Island, der nördliche Fin- ger da.«
»Plum Island. ›Das Plum Island-Center für Tierkrankheiten (Bundesstaatliche Maul- und Klauenseuchenforschung)‹ steht da.
Klingt reizend.«
»Das ist nur ein Teil der Insel. Sie hat einen schönen Strand und gute Gegenden. Im Frühling nisten dort die Seeschwalben.«
»Seeschwalben.« Dr. Lecter seufzte. Er hob leicht den Kopf und berührte die Mitte seiner roten Lippe mit seiner roten Zunge.
»Wenn wir über dies sprechen, Clarice, muß ich etwas auf Ab-schlag haben. Quid pro quo. Ich erzähle Ihnen Dinge, und Sie er-zählen mir welche.«
»Los«, sagte Starling.
Sie mußte eine volle Minute warten, bevor er sagte: »Eine Raupe wird eine Puppe in einer Chrysalis. Dann taucht sie auf, kommt als die wunderschöne Imago aus ihrem geheimen Umkleideraum heraus. Wissen Sie, was eine Imago ist, Clarice?«
»Ein geflügeltes, voll ausgereiftes Insekt.«
»Aber was sonst noch?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist ein Begriff aus der toten Religion der Psychoanalyse.
Eine Imago ist ein Idealbild eines Elternteils, das von Kindheit an im Unterbewußtsein begraben und mit infantilem Affekt gekop-pelt ist. Das Wort kommt von den Wachsporträtbüsten ihrer Vor-fahren, die die alten Römer bei Trauerprozessionen trugen...
Selbst der phlegmatische Crawford muß in der Insektenchrysalis eine gewisse Bedeutung sehen.«
»Nichts, woraus man etwas schließen könnte, ausgenommen die Überprüfung der Abonnementlisten der entomologischen Journale gegen bekannte Sexualverbrecher im Beschreibungsindex.«
»Wollen wir als erstes Buffalo Bill fallenlassen. Es ist ein irreführender Begriff und hat nichts mit der Person zu tun, hinter der Sie her sind. Aus Bequemlichkeit werden wir ihn Billy nennen. Ich werde Ihnen eine kurze Zusammenfassung dessen geben, was ich denke. Fertig?«
»Fertig.«
»Die Bedeutung der Chrysalis ist Veränderung. Von Wurm zu Schmetterling oder Motte. Billy ist der Überzeugung, er wolle sich verändern. Er macht sich einen Mädchenanzug aus echten Mädchen. Daher die großen Opfer - er muß Sachen haben, die passen.
Die Zahl der Opfer legt nahe, daß er es möglicherweise als eine Reihe von Häutungen ansieht. Er tut dies in einem zweistöckigen Haus, haben Sie herausgefunden, warum zwei Stockwerke?«
»Eine Zeitlang hat er sie auf der Treppe erhängt.«
»Korrekt.«
»Dr. Lecter, es gibt keinen Zusammenhang, den ich je zwischen Transsexualismus und Gewalt gesehen habe - gewöhnlich sind Transsexuelle passive Typen.«
»Das stimmt, Clarice. Manchmal sieht man eine Neigung zu Operationssucht-kosmetisch gesehen sind Transsexuelle schwer zu befriedigen -, aber damit hat es sich auch schon. Billy ist kein echter Transsexueller. Sie sind sehr dicht an der Methode, da-rice, nach der Sie ihn fangen werden, sind Sie sich darüber im klaren?«
»Nein, Dr. Lecter.«
»Gut. Dann wird es Ihnen nichts ausmachen, mir zu erzählen, was mit Ihnen nach dem Tod Ihres Vaters passiert ist.«
Starling schaute auf den verkratzten Deckel des Pults.
»Ich
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