Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
von seinem Rhythmus und dem festen Griff seiner Hand wie hypnotisiert war. Sie konnte fast die Wärme seines Körpers an ihrem Rücken spüren, obwohl er nur ihre Hand berührte.
Er räusperte sich. »Gut, ich glaube, jetzt beherrschen Sie die Bewegung.«
Er trat zurück und der wunderbare Herbsttag fühlte sich plötzlich kühl an.
Lord Bradley lehnte sich an die Stallwand und warf ihr einen listigen Blick zu. Er klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die verborgene Tür, was ein hohles Klopfen hervorrief. »Wie ich höre, haben Sie den geheimen Raum hier entdeckt.«
Sie schaute ihn überrascht an.
»Ja, ich weiß davon. Ich hab mich als Junge hier herumgetrieben, als unser alter Verwalter ihn gebaut hat. Ich vermute, er wollte eine Kammer haben, in der er ein Schläfchen machen konnte, oder vielleicht für geheime Verabredungen. Er eignet sich wunderbar dafür, meinen Sie nicht?«
Er beobachtete sie eindringlich. Zweifellos entging ihm die Röte, die ihre Wange erwärmte, nicht.
»Andrew erwähnte gestern Abend, dass Sie sich zusammen mit dem Knecht im Stall versteckt hatten. Sie waren hier drin, nicht wahr?«
»Nur einen Moment lang«, flüsterte sie und fragte sich, ob er das Angebot ihres Halbtags zurückziehen würde.
»Und was, wenn ich fragen darf, haben Sie in diesem Moment allein dort im Dunkeln gemacht?«
»Nichts.«
»Warum zweifle ich daran?«
»Vielleicht gehen Sie davon aus, dass ich Ihre eigenen schlechten Absichten teile.«
»Gut gekontert!« Entschuldigend hob er eine Hand. »Vergeben Sie mir, Miss Keene. Ich wollte Sie nicht kränken.«
»Ich sollte lieber ins Kinderzimmer zurückkehren.« Sie ließ die Bürste fallen, drehte sich um und eilte davon. Ihr war zugleich heiß und kalt.
13
Der Schreiner des Anwesens stellte häufig Spielzeug für die Kinder im Kinderzimmer und Möbel fürs Haus her. Darüber hinaus erledigte er Reparaturen.
Upstairs & Downstairs, Life in an Englisch Country House
Am ersten Mittwochnachmittag im Dezember überließ Olivia die Kinder der Fürsorge von Becky und Miss Peale, zog Umhang und Handschuhe an und trat zur Hintertür hinaus. Obwohl der frühe Dezembertag kalt war, schien die Sonne einladend.
Als sie um das Herrenhaus herum Richtung Garten ging, sah sie, wie Lord Bradley in Hut und Mantel wieder hinter dem Wirtschaftsgebäude in der Nähe der Gärtnerhütte verschwand. Von Neugierde gepackt folgte sie ihm um das Gebäude herum.
Dort stand Lord Bradley neben einem Handwerker, der gerade seine Werkzeuge in eine Tasche räumte. Beide Männer verharrten einen Moment, den Blick auf ein kleines, klares Fenster gerichtet, als wäre es ein Kunstwerk. Dann hob der Handwerker grüßend die Hand und wandte sich zum Gehen. Das neue Fenster war auf jeden Fall in besserem Zustand als der Rest des Fachwerkhauses, was immer es darstellte. Gespannt, wie er sie diesmal empfangen würde, flüsterte sie: »Guten Tag, Mylord.«
Er blickte sie leicht überrascht an. »Miss Keene, was gibt es? Ist alles in Ordnung mit den Kindern?«
»Ja, Mylord. Es ist mein Halbtag.«
»Aha.« Er nickte. »Das war der Glaser gerade eben. Er hat dieses Fenster ersetzt.« Er trat an die Tür.
»Was ist das für ein Ort?«
Er hielt an der Schwelle inne, dann schaute er über die Schulter zu ihr. »Kommen Sie und sehen Sie selbst.«
Sie fragte sich, ob es wohl schicklich wäre, aber die Neugier – und das Verlangen, mit dem einzigen Menschen zu sprechen, mit dem es ihr gestattet war – war stärker als ihr Anstandsgefühl. Sie folgte ihm ins Innere.
»Es ist nur eine kleine Schreinerei«, erklärte er, »eine Werkstatt.«
Die Sonne schien durch das neue Fenster herein und beleuchtete den nicht weiter unterteilten Innenraum mit der Einrichtung aus unbehandeltem Holz. Eine Laterne brannte auf dem Arbeitstisch, auf dem ein großer, mit einem Tuch verhüllter Gegenstand platziert war. Ein kleiner Ofen in der Ecke erwärmte den Raum. Werkzeuge hingen ordentlich an Haken an der Wand, und Bretter verschiedener Größe waren darunter aufgestapelt. Ein Stuhl, der gerade in Reparatur war, stand in einer Ecke. Der Ort roch nach Holzspänen, Rauch und Lord Bradley, und Olivia empfand das als ganz angenehm.
Lord Bradley legte seinen Mantel ab und hängte ihn an einen Haken. Ihr Erstaunen wuchs, als er sich eine lederne Schürze um den Bauch band.
»Unser früherer Verwalter hat einiges geschreinert.« Lord Bradley ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Ich kam als Junge oft mit
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