Das Schweigen der Toten

tote Katze das Opfer ablenken sollte?»
    Nick lehnte an Kats Schreibtisch, denn in ihrem kleinen Büro konnten nur drei Personen sitzen. Die vorhandenen Stühle hatten Kat, Rudy und Cassie Lieberfarb eingenommen. Sie saßen dicht gedrängt, Nick musste stehen.
    «Etwas anderes fällt mir dazu nicht ein», antwortete Rudy. «Wenn das Tier mehr zu bedeuten hätte, wäre es wahrscheinlich zur Leiche in die Kiste gelegt worden.»
    «Was ist mit den Fäden?»
    «Die Fäden, mit denen die Katze und George Winnick zugenäht worden sind, sind identisch und bestehen aus einer Baumwoll-Polyester-Mischung. Das Garn wird von
Coats and Clark
hergestellt, die sitzen in Charlotte, North Carolina.»
    «Ein seltener Artikel?»
    «Nein. Vermutlich gibt es selbst hier bei uns an die sechs Geschäfte, in denen dieses Garn verkauft wird», antwortete Kat. «Wahrscheinlich habe ich selbst welches in meinem Nähkästchen.»
    Nick legte die Stirn in Falten. «Dann wird es sich also schwer zurückverfolgen lassen.»
    «Wir haben allerdings noch einen anderen Faden gefunden», fuhr Rudy fort. «An Mr.Winnicks Kragen. Weiß und hundert Prozent Baumwolle.»
    «Du glaubst, dass er vom Täter stammt?»
    «Ganz bestimmt sogar», meinte Rudy. «Es sei denn, Mr.Winnick hat sich selbst mit Chloroform bekleckert.»
    «Chloroform?»
    «Ja. Das Ergebnis der Laboruntersuchung ist eindeutig.»
    Nicks saure Miene verwandelte sich in so etwas Ähnliches wie ein Lächeln.
    «Also können wir davon ausgehen, dass das Opfer mit Chloroform betäubt wurde», sagte er. «Oder hat jemand eine andere Erklärung, wie der Täter George hätte überwältigen können, ohne Kampfspuren zu hinterlassen?»
    «Das würde durchaus zum Profil passen», sagte Cassie. «Der Einschnitt am Hals des Opfers wurde sauber und mit Bedacht ausgeführt. Er zeugt von einigem Geschick. Der Täter geht methodisch vor und weiß, was er tut. Die Nähte sind ein bisschen grob, was auf einen männlichen Täter schließen lässt, wahrscheinlich im Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Jahren.»
    Kat war beeindruckt. «Das schließen Sie aus einer einzigen Wunde?»
    «Nicht ganz. Ich ziehe Statistiken und Daten von anderen Fällen zurate. Darum ist auch anzunehmen, dass der Täter einen Pick-up fährt.»
    «Wie kommen Sie denn darauf?»
    «Laut Statistik benutzen die meisten Gewaltverbrecher aus ländlichen Gebieten solche Fahrzeuge. Wir wissen nicht, warum. Aber es liegt ja auf der Hand, dass der Täter ein Fahrzeug brauchte, mit dem er eine Kiste mit einer Leiche befördern konnte.»
    Kat ging im Geiste die Einwohner von Perry Hollow durch. Es gab etliche Männer in den Dreißigern und Vierzigern. Die meisten von ihnen fuhren tatsächlich Pick-ups.
    «Demnach stünde halb Perry Hollow unter Verdacht.»
    «Apropos», schaltete sich Nick ein. «Wir müssen uns überlegen, welche Informationen wir nach draußen geben. Was sollen wir der Presse sagen?»
    Auf Kats Schreibtisch lag die aktuelle Ausgabe der
Perry Hollow Gazette
. Die gesamte Titelseite war dem Mord an George Winnick gewidmet, sie ließ sich über jedes Detail aus, das Kat preisgegeben hatte. Es hieß, George sei verblutet, was ja auch der Wahrheit entsprach. Alles andere – die tote Katze, der einbalsamierte Leichnam oder die vorgezogene Todesnachricht – brauchte niemand zu wissen.
    Von dem LKW -Fahrer, der den Sarg am Straßenrand entdeckt hatte, war natürlich auch die Rede. Martin Swan hatte die Sache im Aufmacher ziemlich hochgespielt und ein Foto von der Fundstelle veröffentlichen lassen.
    Vor allem der Sarg machte den Fall so ungewöhnlich, gespenstisch und faszinierend. Schon am Morgen hatten die Nachrichtensender Philadelphias davon berichtet. Eine Stunde später hatte die Online-Ausgabe von CNN nachgezogen. Gegen Mittag würde das ganze Land Bescheid wissen und Perry Hollow in aller Munde sein.
    «Wir sollten nichts von alldem an die Öffentlichkeit geben», sagte Kat. «Die Medien würden sich auf uns stürzen, und damit ist dieser Stadt nicht gedient.»
    Damit war das Treffen beendet. Rudy und Cassie verabschiedeten sich und machten etwas Platz in dem engen Büro, der jedoch kurze Zeit später von Tony Vasquez eingenommen wurde. Er kam mit einem schweren Stoß Papier im Arm, den er geräuschvoll auf den Schreibtisch fallen ließ.
    «Was ist das?», fragte Kat.
    «Anmeldungen von Auszubildenden, die Thanatopraktiker lernen. Von insgesamt vier Schulen. Die nächste liegt in Halliesburg, eine halbe Autostunde