Das Schweigen der Toten
keinerlei Fortschritte machte, war Deanas Bruder. Martin Swan runzelte immer noch die Stirn über die neue Beziehung seiner Schwester und widersetzte sich allen Versuchen Deanas, ihn in ihre gemeinsamen Pläne einzubeziehen. In der Redaktion ging Martin Henry aus dem Weg, und wenn sie sich doch einmal begegneten, ließ er ihn seine Ablehnung deutlich spüren.
Immerhin war ihm zugutezuhalten, dass er seiner Schwester nichts über Henrys Vergangenheit gesagt hatte. Henry vermutete, dass er Deana zuliebe darauf verzichtete. Doch die Bedrohung stand im Raum, und Henry wurde daran erinnert, sooft er Martin sah.
Bei ihrer letzten Verabredung hatte Deana gefragt, wie er sich ihre gemeinsame Zukunft vorstellte. Er war ihr eine Antwort schuldig geblieben, weil er im Grunde keine Vorstellungen und Erwartungen hatte. Wenn er während der vergangenen fünf Jahre eines gelernt hatte, dann, dass sich das Schicksal einen Teufel um diese Erwartungen scherte. Trotzdem war er dankbar für die Zeit, die er mit Deana verbrachte, und freute sich darauf, diesen Dank mit seiner Einladung zum Essen und den Blumen zum Ausdruck zu bringen.
Henry warf einen Blick auf die Uhr. Es war fast sechs.
Awesome Blossoms
schloss um halb sieben. Viel Zeit blieb nicht, um ein hübsches Bouquet zusammenstellen zu lassen. Er würde sich sofort auf den Weg machen und die Arbeit für heute beenden müssen.
Nicht, dass er so spät noch eine Todesnachricht erwartete. Im Bestattungsinstitut liefen die Geschäfte nicht mehr besonders, seit sich Arthur McNeil vor den versammelten Einwohnern neben einem aufgebahrten Leichnam umgebracht hatte. Robert führte es nun allein, was für Deana Mehrarbeit bedeutete. In Trauerfällen wandten sich viele Hinterbliebene allerdings an die Konkurrenz aus benachbarten Städten. Sie wollten nicht riskieren, dass sich eine ähnliche Tragödie bei ihnen wiederholte.
Er war im Begriff zu gehen, als das Faxgerät ansprang und seine Annahme widerlegte. Von Deana konnte sie nicht sein, denn sie hätte ihn bestimmt darauf vorbereitet. Also kam sie wahrscheinlich von McNeils Konkurrenz.
Mit einem Seufzer ließ er sich auf den Sessel zurückfallen und wartete auf das Ergebnis der Übertragung.
Unablässig prasselte der Regen aufs Dach, und als er das ausgeworfene Blatt Papier zur Hand nahm, donnerte es schon wieder. Er las einen Namen, eine Zeitangabe und ein Datum, und just in dem Moment, da er begriff, worum es ging, fiel in seinem Büro, im ganzen Gebäude wie in der gesamten Stadt der Strom aus.
James probierte in Kats Büro gerade sein Halloween-Kostüm an, als das Licht ausging. Es war nur ein schlichtes weißes Bettlaken, das er über den Kopf geworfen hatte, aber er fand die beiden Löcher nicht, die für die Augen ins Tuch geschnitten worden waren, und verlor sich darin.
«Ich kann nichts sehen», stammelte er und bekam es mit der Angst zu tun.
Kat rief nach Lou van Sickle, die am Ende des Flurs an ihrem Schreibtisch saß. «Hast du auch kein Licht?»
«Nein», rief Lou zurück. «Und der Telefonanschluss ist tot.»
Kat probierte es an ihrem Apparat. Kein Freizeichen. James kämpfte derweil immer noch mit dem Laken. Die Augenlöcher befanden sich jetzt irgendwo über dem rechten Ohr.
«Komm, lass dir helfen», sagte Kat, zerrte aber etwas zu fest am Tuch. Aus dem Gleichgewicht geraten, taumelte James blindlings nach vorn und prallte gegen den Schreibtisch.
«Ich mag nicht mehr», maulte er.
Ob er damit die Verwicklung in sein Kostüm meinte oder den erzwungenen Aufenthalt in ihrem Büro, blieb offen. Aber es spielte auch keine Rolle. Sie konnte ohnehin nichts daran ändern.
Weil Amber Lefferts in ihrer Trauer um Troy als Babysitterin nicht mehr zur Verfügung stand, musste James jeden Freitagnachmittag bei ihr im Büro zubringen, wo sich, wenn Kat unterwegs war, Lou van Sickle um ihn kümmerte.
Und was das Gespensterkostüm anging – das war für ihn absolut unverzichtbar. Seine Schule war wie jedes Jahr eingeladen, an dem Umzug teilzunehmen, mit dem das Halloween-Fest losging – vorausgesetzt, alle Schüler trugen ein ähnliches Kostüm. Kat hatte diesen Beschluss nie so recht verstanden – es hieß, man wolle verhindern, dass Einzelne durch besonders aufwendige Kostüme hervorzustechen versuchten –, aber da ein altes Laken nichts kostete, war sie einverstanden. Außerdem hatte sich der sogenannte Gespenstermarsch nach nunmehr fünf Jahren als fester Bestandteil des Umzugs etabliert.
Dass die Party
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