Das Schweigen der Tukane
Gewissenskonflikt? Politiker müssten doch absolut neutral sein.»
«Ach, hör mir mit deinen Moralpredigten auf. Vom Gehalt eines Nationalrats kann keiner leben. So funktioniert unser politisches Milizsystem nun mal. Nimm lieber einige meiner Bankspezies unter die Lupe. Das sind Kriminelle! Die wissen seit Jahren, dass sie auf einem Pulverfass sitzen, schreiben Jahr für Jahr Verluste, frisieren die Bilanzen und schanzen sich und ihren Aktionären gewaltige Dividenden zu. Damit haben sie alle Banken in Verruf gebracht. Das ist Kriminalität im grossen Stil, aber da geschieht nichts. Und wer bezahlt die Zeche? Wie immer der kleine Mann. Das ist eine verdammte Sauerei.»
Es gelang Brugger immer wieder, über sein Lieblingsthema zu referieren. Irgendwie bewundernswert.
«Schon gut. Das höre ich jetzt zum hundertsten Mal. Zurück zu Grauwiler. Offiziell ruhte sein Amt als Anwalt, trotzdem zockte er über die Kanzlei gigantische Summen ab.»
«Gut, du bornierter Esel! Dann drehen wir das Ganze einfach um. Nehmen wir an, dass Emma Grauwiler als stille Teilhaberin in die Bresche gesprungen wäre. Was dann?»
«Dann wäre sie Kusters Partnerin gewesen.»
«Und da sie verheiratet sind und vermutlich keine Gütertrennung haben, wäre es aufs Gleiche hinausgekommen. Linke Tasche, rechte Tasche.»
«Gut! Ich gebe mich geschlagen. Du findest das also in Ordnung?»
«Absolut. Jetzt kannst du noch bei deinen Kollegen von der Steuer nachfragen, ob die Einkünfte auch ordnungsgemäss versteuert wurden. Und dann, mein Lieber, dann würde ich das alles ganz schnell vergessen. Du musst dich damit abfinden, dass es Leute gibt, die ihr Geld leichter und schneller verdienen als du.»
«Das ist mir schon lange klar. Du gehörst auch zu denen.»
Brugger lachte.
«Du hast halt den falschen Beruf. Ist das alles? Oder soll ich noch einen anderen ausspionieren?»
«Nur noch eine Kleinigkeit. Könntest du herausfinden, wie es um die Finanzen von Remo Kuster steht?»
«Schon erledigt», kicherte Brugger. «Für mich bist du ein offenes Buch. Also, Kuster ist genauso vermögend wie Grauwiler und ebenfalls eine ehrliche Haut, was mich nicht überrascht. Kuster wickelte seine Geschäfte teilweise über uns, teilweise über andere Banken ab, aber unter dem Strich teilten sie den Ertrag hälftig, wie die praktisch identischen Überweisungen belegen. Eigentlich wäre es ja normal, wenn Kuster, der die ganze Arbeit macht, einen grösseren Anteil des Kuchens für sich behält. Da kann ich nur den Hut ziehen. Eine Seltenheit in der heutigen gierigen Zeit!»
«Stimmt. Danke, Bernie, du hast mir sehr geholfen.»
Die Überwachung von Patenten schien eine Marktlücke und vor allem sehr lukrativ zu sein. Ferrari liess sich mit dem Chef der kantonalen Steuerbehörde verbinden. Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, doch nach anfänglichem Zögern und dem Hinweis, er könne gern beim Staatsanwalt nachfragen, bestätigte ihm der Kollege vom Amt, dass sowohl Grauwiler als auch Kuster in etwa den von Ferrari genannten Betrag versteuerten. Grauwiler gab selbstverständlich auch sein Honorar als Nationalrat an und machte entsprechende Abzüge für Reise- und Repräsentationsspesen geltend. Alles sauber und korrekt! Ferrari strich auf seinem Zettel seine Notiz «Vermögensverhältnisse von Grauwiler und Kuster überprüfen». Erledigt.
Inzwischen lag auch der Obduktionsbericht vor. Es hatte etwas länger gedauert, da in der Pathologie eine Grippeepidemie ausgebrochen war.
«Keine Angst, es ist nicht die Schweinegrippe», erklärte Peter Strub beschwichtigend im Wissen, dass Ferrari zu Hypochondrie neigte. «Nicht, dass du noch als Einziger mit einem Mundschutz hier im Haus herumläufst, so wie deine Verwandten in Italien.»
Ferrari seufzte. Das einzig Italienische an ihm war sein Name. Seine Familie wohnte schon seit Generationen in Basel.
«Ich bin Basler! Geht das nicht in deinen Dickschädel hinein?»
«Ein Papierlischwiizer!»
«Ah! Und Strubs waren wohl schon beim Rütlischwur dabei.»
«Nicht direkt, aber mein Stammbaum geht auf Jahrhunderte zurück. Ostschweizer, falls es dich interessiert.»
«Nun, du Ostschweizer, was hast du herausgefunden?»
Ich lasse mich vom Gerichtsmediziner nicht weiter provozieren. Unter keinen Umständen.
«Der Mord ist gegen acht Uhr früh begangen worden. Die Person», Strub hielt sich wohlweislich zurück, da er die Stimmung im Kommissariat kannte, «stach drei Mal zu. Ein Stich in den Magen, einer
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