Das Schweigen der Tukane
zum Porsche.
«Ich sage Borer, dass ich dich nach Hause bringe, und dann zum Tatort zurückkomme. Es dauert nur einen kurzen Moment. Bin gleich zurück.»
Wortlos setzte sich Nadine auf den Beifahrersitz.
Staatsanwalt Borer unterhielt sich mit Peter Strub und einem Polizisten.
«Indiskutabel! Unerhört! So etwas will ich nie mehr hören.»
«Es ist nur die Wahrheit», begehrte der Polizist auf. «Wir denken alle so.»
«Was Sie denken, ist Ihre Sache. Was Sie hingegen aussprechen, wird zu meiner Angelegenheit.»
Ein weiterer Polizist mischte sich ein.
«Aber es stimmt, das ganze Polizeikorps denkt so!»
«Wir sind auch Vertreter des Korps, meine Herren. Kommissär Ferrari, Strub, der Leiter der Pathologie, und meine Wenigkeit, und wir, wir denken nicht so. Ende der unsäglichen Debatte! Sie können jetzt Ihre Arbeit wiederaufnehmen.»
Die Polizisten gingen zu ihrem Streifenwagen.
«Natürlich ist es ihre Schuld, auch wenn der tausend Mal etwas anderes behauptet!»
«Hartmann!»
«Herr Staatsanwalt?»
«Sie kommen morgen früh in mein Büro, um neun Uhr. Ich werde Ihren Vorgesetzten informieren. Haben Sie mich verstanden?»
«Sehr wohl, Herr Staatsanwalt!»
«Und bringen Sie Ihren Kollegen gleich mit.» Borer schäumte vor Wut. «Was glauben die eigentlich? Ungeheuerlich diese Insubordination! Haben Sie das gehört, Ferrari?»
«Es war nicht zu überhören. So denkt wohl die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen.»
«Dann werden wir dagegensteuern. Und wie! Ich habe mich noch nie vor einer Konfrontation gedrückt. Wie geht es Frau Kupfer?»
«Ich fahre sie nach Hause. Das war jetzt eindeutig zu viel.»
«Kann man sie allein lassen?»
«Ich weiss nicht … vielleicht ist es besser, wenn ich sie zu uns nach Hause bringe. Monika kümmert sich bestimmt gern um sie.»
«Sehr schön.»
«Ich bin in einer halben Stunde zurück.»
«Gut. Wir halten so lange die Stellung.»
Nadine liess sich widerstandslos nach Birsfelden fahren. Monika führte sie ins Gästezimmer und schloss leise die Tür. Ein bisschen Ruhe würde ihr gut tun.
«So habe ich Nadine noch nie erlebt. Sie reagiert auf nichts, sie ist ganz apathisch.»
«Ja. Die Sache macht ihr schwer zu schaffen. Der Streit mit Noldi, die Anfeindungen der Kollegen und jetzt noch der Tod von Thuri. Sie braucht Zeit, um ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden.»
«Schwer ist es, die rechte Mitte zu finden: Das Herz zu härten für das Leben, es weich zu halten für das Lieben.»
«Schön gesagt. Ein Zitat von dir?»
«Leider nein, von Jeremias Gotthelf.»
Sie hörten Nadine weinen.
«Es ist gut, dass sie bei uns übernachtet. Niemand sollte in solchen Momenten allein sein.»
«Es war Borers Idee.»
«Wirklich? Manchmal überrascht er mich.»
«Mich auch. Ich muss nochmals zurück, es kann dauern.»
«Kein Problem. Wurde Koch ermordet?»
«Mit grösster Wahrscheinlichkeit.»
Die Spurensicherung hatte inzwischen ihre Arbeit beendet. Als Ferrari mit dem Porsche vorfuhr, wurde Arthur Koch gerade abtransportiert.
«Ah, da bist du ja, Francesco. Es ist alles im Kasten. Ich bringe dir morgen die Ergebnisse vorbei», informierte Strub.
«Du gehst nicht nach Luzern?»
«Die Schwiegermutter muss warten. Ich will Thuri selbst obduzieren. Das bin ich ihm schuldig. Zudem möchte ich ein Auge auf meine Leute werfen. Es brodelt verdammt heftig. Man könnte auch sagen, die Kacke ist am Dampfen, und zwar nicht auf Sparflamme.»
Ferrari schaute sich um. Strubs Leute unterhielten sich mit einigen uniformierten Polizisten. Hartmann, anscheinend der Sprecher der Unzufriedenen, deutete immer wieder auf Borer.
«Wollen Sie sich das mit morgen früh nicht noch einmal überlegen, Herr Staatsanwalt?»
«Kommt nicht infrage! Ich habe bereits Georg informiert. Er wird beim Gespräch anwesend sein. Wir müssen einen Nagel einschlagen, ein klares Zeichen setzen. Ein für alle Mal. Sonst läuft das Ganze aus dem Ruder.»
«Teilt Georg Ihre Meinung?»
«Vollkommen!»
Strub winkte seinen Leuten zu.
«Abfahrt! Es gibt eine lange Nacht, Jungs.»
Schaulustige, die sich hinter den Absperrungen eingefunden hatten, verliessen den Ort des Grauens. Ein schreckliches Phänomen, diese Gaffer. Ferrari hatte absolut kein Verständnis für die unwillkommenen Zuschauer, die nicht selten die Arbeit der Polizei behinderten, und meist keinen Willen zur aktiven Hilfeleistung zeigten. Letzteres konnte vor allem bei Unfällen verheerend sein. Die menschliche Natur war und blieb dem
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