Das Schweigen des Glücks
im Haus hell und freundlich war, als er eintrat. Seine Geschäftspapiere waren noch auf dem Tisch ausgebreitet, der Taschenrechner war angestellt. Die Eiswürfel in seinem Wasserglas waren geschmolzen.
Er konnte den Fernseher im Wohnzimmer hören; das Spiel, das er sich angehört hatte, war vorbei, jetzt liefen die Nachrichten.
Er legte seine Schlüssel auf die Anrichte und zog sich auf dem Weg zu dem kleinen Raum, in dem Waschmaschine und Trockner standen, das Hemd aus. Er machte die Klappe auf und steckte das Hemd in die Maschine. Er zog die Schuhe aus und stieß sie gegen die Wand. Hose, Socken und Unterwäsche folgten dem Hemd in die Maschine. Er füllte Waschmittel ein und drückte auf »Start«. Vom Trockner nahm er ein gefaltetes Handtuch, ging ins Badezimmer und stellte sich unter die heiße Dusche. Er wusch sich das brackige Wasser vom Körper. Anschließend fuhr er sich mit der Bürste durch die Haare, machte einen Gang durchs Haus und schaltete alle Geräte aus, dann legte er sich ins Bett.
Ein bisschen widerstrebend knipste er das Licht aus. Er wollte und musste schlafen, doch trotz der Erschöpfung wusste er plötzlich, dass der Schlaf nicht kommen würde. Stattdessen liefen, nachdem er die Augen zugemacht hatte, in seinem Kopf die Bilder der letzten Stunden wieder ab. Ähnlich wie in einem Film waren manche Sequenzen im Zeitraffer, andere liefen rückwärts, aber in jedem Fall waren sie anders als in der Wirklichkeit. Er sah keine Bilder mit erfolgreichem Ausgang – seine Bilder waren wie ein Albtraum.
In einer Sequenz nach der anderen sah er hilflos zu, wie die Dinge einen verhängnisvollen Verlauf nahmen.
Er sah sich selbst, wie er nach dem Verletzten griff; er hörte das Krachen und spürte ein furchtbares Rucken, als die Leiter barst und sie beide in den sicheren Tod stürzten Er sah machtlos und voller Entsetzen, wie der Verletzte gerade mit panikverzerrtem Gesicht nach seiner ausgestreckten Hand greifen wollte, als das Auto in den Abgrund stürzte Er spürte, wie seine schweißfeuchten Hände ihren Halt an dem Kabel verloren und er in die Tiefe hinab stürzte, auf die Brückenpfeiler zu, in seinen Tod. Während er dem Verletzten den Sicherungsgurt anlegte, hörte er ein seltsames Ticken; in dem Moment explodierte der Motor des Trucks, Flammen schlugen um ihn herum hoch und verbrannten seine Haut und er hörte seine eigenen Schreie, als sein Leben zu Ende ging…
Der Albtraum, der ihn seit seiner Kindheit begleitete.
Er klappte die Augen auf. Seine Hände fingen wieder an zu zittern, seine Kehle war ausgetrocknet. Er atmete hastig und konnte spüren, wie das Adrenalin erneut durch seine Blutbahnen pulsierte, doch diesmal tat es seinem Körper weh.
Er drehte den Kopf und sah auf die Uhr. Es war ein paar Minuten vor halb zwölf.
Er wusste, er würde nicht einschlafen können; also machte er das Licht an und stieg in seine Kleider.
Er verstand seine Entscheidung nicht, nicht ganz. Er wusste nur, dass er sprechen musste. Nicht mit Mitch, nicht mit Melissa. Auch nicht mit seiner Mutter.
Er musste mit Denise sprechen.
Der Parkplatz des Eights war fast leer, als er ankam. Ein Auto stand am Rand. Taylor parkte möglichst nah bei der Tür und sah auf seine Uhr. In zehn Minuten würde Ray schließen.
Er stieß die hölzerne Tür auf und hörte eine kleine Glocke, die seinen Eintritt ankündigte. Innen sah es aus wie immer. Die ganze gegenüberliegende Wand wurde von einer Theke eingenommen; hier saßen in den frühen Morgenstunden die Trucker. Im Raum selbst standen unter einem Deckenventilator zwölf quadratische Tische. Rechts und links von der Tür waren unterhalb der Fenster drei Abteile; die Sitze waren mit rotem Plastik bespannt, das überall kleine Risse hatte. Trotz der späten Stunde hing ein Geruch von gebratenem Speck in der Luft.
Hinter der Theke war Ray beim Aufräumen. Als er die Tür hörte, drehte er sich um und erkannte Taylor. Ray winkte mit einem fettigen Tuch in der Hand.
»Hallo, Taylor«, sagte er. »Lange nicht gesehen. Willst du was essen?«
»Oh, hallo, Ray.«
Taylor sah von einer Seite zur anderen. »Eigentlich nicht.«
Ray schüttelte den Kopf und lachte vor sich hin. »Das dachte ich mir schon irgendwie«, sagte er ein wenig verschmitzt. »Denise ist gleich fertig. Sie räumt noch ein paar Sachen in die Speisekammer. Bist du gekommen, um sie nach Hause zu fahren?«
Als Taylor nicht gleich antwortete, glitzerte es in Rays Augen. »Glaubst du, du bist der Erste,
Weitere Kostenlose Bücher