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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Eigentümer zurück.
    »Pardàc, ist das Predazzo?«, fragte er und sah ihn an, als dämmerte ihm plötzlich etwas.
    »Die Leute im Tal sagen Predazzo, ja. Aber richtig heißt es Pardàc … Wollt Ihr das Medaillon nicht kaufen?«
    Der Juwelier schüttelte den Kopf.
    »Ich brauche Geld.«
    »Wenn du den Winter hier bei mir verbringst, lehre ich dich das Goldschmiedehandwerk, und sobald der Schnee schmilzt, kannst du gehen, wohin du willst. Aber dieses Medaillon darfst du nicht verkaufen.«
    Und Jachiam lernte, Metalle zu schmelzen und Ringe, Anhänger und Ohrringe daraus herzustellen, und das Leben im Haus des guten Mannes linderte für einige Monate sein Heimweh, bis der Goldschmied eines Tages das Thema wieder anschnitt und ihn fragte: »Wem hast du dein Geld gegeben?«
    »Welches Geld?«
    »Das für deine Familie.«
    »Einem vertrauenswürdigen Mann.«
    »Einem Okzitanen?«
    »Ja, warum?«
    »Ach, nur so …«
    »Warum?«
    »Na ja, weil mir zu Ohren gekommen ist, dass … Nichts, schon gut.«
    »Was denn?«
    »Wie hieß der Mann?«
    »Blond de Cazilhac, weil sein Haar so hell war.«
    »Ich glaube, er ist nicht weit gekommen …«
    »Was?«
    »Man hat ihn ermordet. Und ausgeraubt.«
    »Wer?«
    »Leute aus den Bergen.«
    »Aus Moena?«
    »Ich glaube, ja.«
    Am selben Morgen steckte Jachiam den Lohn des vergangenen Winters in die Tasche, bat den Goldschmied um seinen Segen und wanderte davon, um herauszufinden, was aus dem Geld für die Muredas und dem armen Blond gewordenwar. Getrieben von seinem Zorn, hatte er jede Besonnenheit fahrenlassen. Am fünften Tag erreichte er Moena, stellte sich auf den Dorfplatz und begann zu brüllen. Die Brocias sollen herauskommen, schrie er, und ein Brocia, der ihn gehört hatte, benachrichtigte seinen Vetter und der einen weiteren Vetter, und als sie zu zehnt waren, gingen sie zum Dorfplatz, packten Jachiam und schleiften ihn zum Fluss. Seine Schreckensschreie drangen nicht bis nach Pardàc. Das Medallion der Madonna dai Ciüf behielt der Brocia, der ihn als Erster gesehen hatte, als Trophäe.
    »Pardàc ist im Alto Adige«, sagte Adrià.
    »Und dabei haben sie mir zu Hause immer erzählt«, erwiderte Daniela nachdenklich, »ein Onkel, der zur See fuhr, hätte es aus Afrika mitgebracht.«
    Schweigend schlenderten sie zum Friedhof und weiter zur Lourdes-Kapelle; es war ein sehr schöner Nachmittag zum Spazierengehen. Nachdem sie eine halbe Stunde lang stumm auf einer Steinbank im Garten der Kapelle gesessen hatten, wies Adrià, der allmählich Vertrauen fasste, auf seine Brust und fragte, möchtest du es haben?
    »Nein. Es gehört dir. Du darfst es nie verlieren.«
    Die Sonne hatte weiter ihre Bahn gezogen und die Schatten im Garten verschoben, und Adrià fragte noch einmal, was meinst du mit den mysteriösen Reisen meines Vaters?
    Er war in einem kleinen Hotel im Stadtteil Borgo abgestiegen, fünf Minuten vom Petersdom entfernt, nahe dem Passetto. Es war ein diskretes, bescheidenes, preisgünstiges Hotel mit Namen Bramante, geführt von einer römischen Matrone, die aussah, als hätte sie jahrelang mit eiserner Hand Gänse gehütet, und das noch aus der Übergangszeit zwischen den Kaisern Julius Nepos und Romulus Augustulus zu stammen schien. Sein erster Besuch, nachdem er sich in dem engen, feuchten Zimmer, das zum Vicolo delle Palline ging, eingerichtet hatte, galt Pater Morlin. Als der ihn erblickte, stand er sekundenlang in der Tür zum Kreuzgang des Klosters Santa Sabina und überlegte angestrengt, wer dieser Mann war, der … Nein!
    »Felix Ardevole!«, rief er aus. »Il mio omonimo! Vero di sì?«
    Fèlix Ardèvol nickte und küsste dem Mönch, der unter seiner schweren Kutte schwitzte, gespielt unterwürfig die Hand. Morlin sah ihm in die Augen und zögerte einen Moment, und statt mit ihm in eines der Besucherzimmer zu gehen oder durch den Kreuzgang zu spazieren, führte er ihn in einen leeren Korridor mit weißen Wänden, an denen in Abständen einige unbedeutende Gemälde hingen. Ein endlos langer Korridor mit wenigen Türen. Wie in alten Zeiten senkte er instinktiv die Stimme und fragte, was willst du?, und Fèlix Ardèvol antwortete, Kontakte, nur Kontakte. Ich möchte einen Laden eröffnen und denke, du könntest mir helfen, hochwertige Ware aufzutreiben.
    Schweigend gingen sie ein Stück. Es war sonderbar, denn trotz der Kahlheit des Korridors erzeugten weder ihre Schritte noch ihre Stimmen ein Echo. Pater Morlin musste gewusst haben, dass dies ein verschwiegener Ort

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