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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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betäubte.
    »Nietzsche. Die ersten fünf Seiten von Die Geburt der Tragödie .«
    »Wo nehmen Sie so viele erste Seiten her?«
    »Das gesamte Manuskript wäre unbezahlbar.«
    »Das heißt also, jemand reißt sie auseinander, um sie …« Ich war entsetzt. »Und wenn ich mehr davon will? Wenn ich das ganze Buch will?«
    »Dazu müssten Sie zunächst mal hören, was das kostet. Aber vielleicht sollten wir besser erst mal bei dem bleiben, was wir haben. Sind Sie interessiert?«
    »Sehr!«
    »Sie wissen ja, wie viel es kostet.«
    »Ich biete so und so viel weniger.«
    »Nein.«
    »Dann so und so viel weniger.«
    »Allmählich kommen wir uns näher.«
    »Howgh.«
    »Jetzt nicht, verdammt!«
    »Wie bitte?«
    »Nichts, ich habe mit mir selbst geredet. Sind wir handelseinig?«
    Adrià bezahlte so viel abzüglich so und so viel und zog mit den ersten fünf Seiten von Nietzsche und dem dringenden Bedürfnis davon, Morral wiederzutreffen und das gesamte Manuskript zu erwerben, so dieser es denn wirklich hatte. Er dachte, dass dies vielleicht der richtige Moment sei, Senyor Sagrera zu fragen, wie viel Geld er noch hatte und ob das Gejammer von Sheriff Carson und Schwarzer Adler berechtigt war. Aber Sagrera würde ihm raten, das Geld anzulegen, weil es auf der Bank nichts brachte.
    »Ich weiß nicht, was ich damit machen soll.«
    »Kauf Immobilien.«
    »Immobilien?«
    »Ja. Und Bilder. Kunst, meine ich.«
    »Na ja … Ich kaufe Manuskripte.«
    »Was ist denn das?«
    Ich zeigte ihm meine Sammlung. Senyor Sagrera musterte sie mit gerümpfter Nase und sagte nach reiflicher Überlegung, das scheint mir aber eine sehr riskante Anlage zu sein.
    »Wieso?«
    »Es ist verderbliches Gut. Die Papiere könnten von Ratten oder diesen komischen silbernen Viechern angefressen werden.«
    »Ich habe keine Ratten im Haus. Und um die Silberfischchen kümmert sich Lola Xica.«
    »Howgh.«
    »Was?«
    »Caterina.«
    »Ja, danke.«
    »Ich sage es dir noch einmal: Mit einer Immobilie erwirbst du etwas Handfestes, was nie an Wert verliert.«
    Und da er sich dieses Gespräch ersparen wollte, redete Adrià mit Senyor Sagrera weder über Immobilien noch über Ratten. Und auch nicht über das Geld, das er für Silberfischchenfutter ausgab.
    Ein paar Nächte später musste ich wieder weinen, aber nicht aus Liebe – oder doch: aus Liebe. Im Briefkasten lag das Schreiben eines gewissen Calaf, Notar aus Barcelona, von dem ich noch nie gehört hatte, und ich dachte sofort, dass es beim Verkauf des Ladens oder vielleicht sonstwie in der Familie Probleme gegeben haben musste, denn ich habe Notaren schon immer misstraut, auch wenn ich jetzt selbst als Notar eines Lebens fungiere, das mir immer mehr entgleitet. Wo war ich? Ach ja, bei dem mir unbekannten Notar Calaf, der mich ohne weitere Erklärungen in einem winzigen Vorzimmer warten ließ. Dreißig Minuten später als vereinbart kam er herein, ohne sich zu entschuldigen, ohne mich anzusehen, strich sich mit der Hand durch seinen dichten weißen Bart und fragte, ob ich mich ausweisen könne. Dann gab er mir den Ausweis mit einer Grimasse zurück, die ich als Überdruss und Enttäuschung interpretierte.
    »Senyora Dolors Carrió hat Sie in Ihrem Testament als Erben bedacht.«
    Ich sollte etwas von Lola Xica erben? War sie etwa Millionärin gewesen und hatte ihr Leben lang das Dienstmädchen bloß gespielt, und das in einer Familie wie der meinen? O Gott.
    »Und was soll ich erben?«
    Der Notar sah mich ein wenig schräg an, bestimmt war ich ihm denkbar unsympathisch. Aber mein Herz war noch voll von meinem unglücklichen Besuch in Paris, von dem, ich habe ein neues Leben angefangen, Adrià, und der sich schließenden Tür, und da war es mir völlig egal, was sämtliche Notare von Barcelona von mir denken mochten. Der Notar strich sich wieder übers Kinn, schüttelte den Kopf und las mit übertrieben nasaler Stimme von einem Dokument ab, das er ausgestreckt vor sich hielt: »Ein Bild von einem gewissen Modest Urgell, datiert auf achtzehnhundertneunundneunzig.«
    Lola Xica, du bist dickschädeliger als ich.
    Nachdem er alle Formalitäten erledigt und die Steuern bezahlt hatte, hängte Adrià das Bild von einem gewissen Urgell, Santa Maria de Gerri, wieder an die Wand, die er mit keinem anderen Bild und keinem Bücherregal hatte bedecken wollen. Die untergehende Sonne beleuchtete das Kloster immer noch mit einer gewissen Traurigkeit von Trespui her. Adrià holte einen Stuhl vom Esszimmertisch und setzte sich vor das

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