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Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
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würde sie aus den Nesseln eine würzige Suppe zaubern.
    Doch schon überkam sie ein größeres Unbehagen. Es wardurchaus möglich, dass auch Kieran sah, was sie gerade sah. Was würde sich jetzt vor ihren Augen abspielen? Würde der Geist des Mannes ihm, dem möglichen Mörder, entgegentreten? Kieran ließ vor Schreck die Nesseln fallen. Er hatte gesehen, was sie befürchtet hatte. Dann bückte er sich rasch, hob die Nesseln auf und ging gefasst auf die näher kommende Erscheinung zu.
    Sein Leben lang war Declan jemand gewesen, mit dem aneinanderzugeraten die wenigsten Lust hatten. Schon geringste Anlässe genügten, um sein hinlänglich bekanntes Temperament zum Aufbrausen zu bringen. Er konnte binnen weniger Minuten sowohl Furcht verbreiten als auch ganz unwiderstehlich nett sein. Frauen betörte er im Handumdrehen. Starke und mutige Männer schafften es meist schnell, mit ihm kumpelhaft umzugehen. Freundschaften wurden dann mit kräftigen Hieben auf die Schulter, mitunter auch auf den Hintern, besiegelt. Niemand konnte sich seinem Charme entziehen, hinter dem eine Durchtriebenheit steckte, die nie in Arroganz umschlug. Außerdem, wer hätte diese Strahlkraft auch nur um ein Quäntchen mindern wollen, die alle so bezauberte? Gar nicht selten wurde Declan mit Luzifer verglichen, dem Engel des Lichts, der auf der Schwelle der Himmelspforte nur darauf wartete, mit keinem Geringeren als einem Erzengel zu kämpfen. Was gab es Bedrohlicheres als ein flammendes Schwert, dem sich hochfliegender Stolz widersetzte? Ein Stolz, der sich aus übersteigertem Selbstbewusstsein nährte. (Und doch bedurfte es – wie sich erwies – nichts anderes als Declans Klopfbrett, um ihn niederzustrecken, als die Zeit gekommen war, die verführerische Flamme auszutreten.)
    Nie und nimmer hätte es sich Kitty versagt, ihrem Mann beizuspringen, wenn er und die Erscheinung aufeinander trafen. Sie rannte los, stolperte und hastete die Wendeltreppe hinunter. Die Große Halle wurde wie in einem einzigen Sprung durchquert, die Tür mit solcher Gewalt aufgerissen, dass es sie fast aus den Angeln hob. Mit diesem Endspurt hatte sie den Besucherklar abgehängt, stand atemlos neben Kieran und war bereit, diese neuerliche Spukgestalt, die ihre geliebte Burg heimsuchte, herauszufordern.
    Aber etwas stimmte da nicht. Der Geist redete – redete mit ihrem Mann. Er sprach nicht von nebulösen Dingen oder unheimlichen Geschehnissen im Grabesdunkel, sondern von ganz Alltäglichem wie jeder beliebige Mensch aus Kerry, der nach langer Abwesenheit zurückkehrt und darauf vertraut, zu Hause wieder willkommen geheißen zu werden.
    »Ich habe nicht erwartet, dass es da jetzt so aussieht«, sagte er. »Ich bin zu den Klippen gegangen und war sicher, wie gewohnt das Haus und die Wiese dort vorzufinden, aber kein einziger Stein war noch da, der einem gezeigt hätte, wo das alles mal gestanden hatte.«
    »Die See hat alles genommen«, erwiderte Kieran in einem Ton, als bestätige er das Selbstverständlichste von der Welt.
    »Soviel habe ich mir auch gedacht. Doch ’ne Überraschung war das schon, für einen, der gar nicht so lange weg war.« Er bemerkte Kitty, die sich an Kierans Arm klammerte. »Aber du hast ja jetzt die Burg«, redete die Erscheinung weiter, »da muss ich dich wohl gar nicht sehr bedauern.«
    »Nein«, Kitty konnte gar nicht anders als flüstern, »ist nicht nötig.«
    »Aber dir wird was fehlen, das Haus.«
    »Ich … ich … ja, es fehlt mir. Ich glaub schon, dass es mir fehlt.«
    »Ein herber Verlust.«
    »Ja. Alles hin.«
    »Einfach ins Meer gestürzt.«
    »Einfach abgestürzt, ja.« Kitty mühte sich, das in dem lockeren Ton zu sagen, den ihr Mann drauf hatte, aber so ganz gelang ihr das nicht. »Ja. Alles. Die See. Es … es war die See, sie hat alles genommen.«
    Sie fügte nicht hinzu, dass die See auch ihn genommen hatte – oder besser, seine Knochen –, mit allem, was sonst im Hausgewesen war. Sie hatte gesehen, wie es sein persönliches Mausoleum wurde, wie es hinabgesunken war in die nimmer rastenden Wellen.
    »Und auch der Garten ist mit weg.«
    »Der Garten. Ja. Der Garten.«
    »Mit allem, was drin war. Den Kohlköpfen. Einfach alles.«
    »Ja. Alles. Einfach alles, was drin war.«
    Kieran überließ Kitty das Gespräch, aber die hatte keine Ahnung, was sie noch sagen sollte. Sie wusste, dass sie in die Luft starrte, unfähig war, auch nur zu blinzeln, wie angenagelt dastand. Auch ihre Lippen hatten die Fähigkeit verloren, sich

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