Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition)
Pause. Und du wirst was essen.« Es klang mehr nach einer Anordnung als nach einer Aufforderung oder Einladung.
»Was soll ich?«, fragte der Junge verwirrt.
»Wir essen jetzt etwas. Höchste Zeit.« Er kletterte die Leiter hinab, wischte sich die Hände, indem er die Handflächen gegeneinander rieb, und ging zu seinem Lederbeutel, den er einen Stall weiter abgestellt hatte. Aus dem holte er allerlei Nahrhaftes – säuberlich in Zeitungspapier verpackt – für die Mittagspause.
»Oh, das darf ich nicht annehmen, Mr Tovey.«
»Wieso nicht?«
»Ich muss zu Hause essen.«
»Wenn du Dachdecker werden willst, isst du dort und dann, wenn du Hunger verspürst. Und den haben wir jetzt. Wir setzen uns dort drüben auf die Steine.«
»Aber ich sollte doch nur zusehen …«
»Soll ich etwa zulassen, dass du mir beim Essen zusiehst?«
»Ich geh lieber nach Hause. Und wenn ich darf, komm ich später wieder. Ich mache, was Sie sagen.«
»Und das habe ich dir schon gesagt. Wir essen jetzt, und dann schaust du mir weiter zu. Wenn du magst, kannst du ja beim Essen auch in deinem Buch lesen.«
»Ich hab das längst durch. Zweimal schon.«
»Dann isst du eben nur. Dort drüben, wie ich gesagt habe. Auf der Mauer. Auf den Steinen.«
Sie setzten sich und aßen. Declan beging den Fehler, einen Blick auf den Jungen neben sich zu werfen. Der saß da, starrte geradeaus, mampfte gedankenverloren Brot und Speck, knirschte auch mal mit den Zähnen, wenn er mit einer Brotkruste kämpfte. Declan hätte nicht hinschauen dürfen. Kummervolle Erinnerung stieg in ihm hoch. Von ferne hörte er das Meer. Wellen brandeten unermüdlich gegen die Steilküste. Weiter draußen schwoll das Wasser an, war in steter Bewegung, blieb ungerührt von dem, was unten auf dem Grund lag.
Er reichte dem Jungen einen Lauchstängel. »Ist für Sie auch noch was da?«, fragte der Kleine.
»Mehr als genug. Die sind aus dem Garten. Ich habe sie heute früh gemopst. Aber mit Erlaubnis, wir sollten es also nicht übertreiben.«
Peter kicherte.
Declan wollte eigentlich etwas Nettes zu ihm sagen, ließ es aber. Er hatte schon mehr Worte verschwendet, als er ursprünglich gewillt war zu verlieren.
Außerdem war der Junge völlig mit seiner Stange Lauch beschäftigt, da sollte man ihn besser nicht stören. Doch dannhörte er sich sagen: »Ich hätte neulich nicht so grob zu dir sein dürfen. Und das mit der Suppe und dem bekleckerten Hemd.« Er machte eine Pause, fand, das war genug, und fügte jedoch hinzu: »Es tut mir leid. Es war nicht richtig von mir.«
Peter kaute weiter. »Sie hatten guten Grund.«
»Auch wenn man einen Grund hat, darf man sich nicht so verhalten, wie ich es getan habe.«
Lange Zeit sprach keiner von beiden. Peters Mampfen und Kauen war das einzige, was man hörte. Plötzlich kam Declan ein Gedanke. Womöglich konnte der Junge wie seine Mutter – und wie Kitty, die ja von Michael gesprochen hatte – Brid und Taddy sehen oder wusste zumindest um sie, hatte vielleicht sogar eine Idee, wie man sie befreien könnte. Wie man es bewerkstelligen könnte. Und wieder hörte er sich, wenn auch zögernd, sagen: »Dort drüben, wo die Kühe am Hang grasen, siehst du da jemand?«
»Wo soll ich jemand sehen?«
»Dort.« Er zeigte zum Crohan-Berg hinter der Burg.
»Da ist niemand.«
»Niemand, sagst du?«
»Ja. Ich sehe niemand. Weshalb fragen Sie?«
»Hast du schon mal von Brid und Taddy gehört?«
»Brid? Taddy? Natürlich. Wer hat das nicht? Es heißt, sie seien hier in der Burg. Ich kann nur hoffen, das stimmt nicht.«
»Wieso das?«
»Ich hätte Angst. Sie sind tot, also sollten sie auch nicht hier sein.«
»Und wenn sie es doch sind?«
»Dann muss man sie fortschicken.«
»Aber wie?«
Peter lachte. »Na einfach sagen, sie sollen gehen.«
»Und wenn sie das nicht können?«
Der Junge zuckte mit den Achseln und biss erneut herzhaft in seine Stange Lauch. »Dann muss man sie fragen, warum sie es nicht können.«
»Und wenn sie es nicht wissen?«
Er überlegte und lachte wieder. »Warum fragen
sie
dann nicht einfach?«
»Wen sollten sie denn fragen?«
»Na, jemanden, der es weiß«, erwiderte Peter.
»Und wer könnte das sein?«
Mit vollem Mund, und diesmal ohne zu lachen, sagte Peter: »Ich denke, ich sollte still sein und nicht sprechen.«
Declan hielt es ebenfalls für besser zu schweigen. Er hätte das Thema nicht anschneiden sollen. Es ging den Jungen nichts an – und so sollte es auch bleiben. Er brach den
Weitere Kostenlose Bücher