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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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kaum noch konzentrieren, wenn er in meiner Nähe war.
    Am letzten Tag vor den Sommerferien wartete er auf dem Schulhofauf mich und fragte, ob ich nicht mit zu ihm nach Hause kommen wolle, Mittagessen, was auch immer. In der U-Bahn saßen wir schweigend nebeneinander. Wir mussten zwölf Stationen fahren. Ich schlug meine Beine möglichst weiblich übereinander und beobachtete mich in der Fensterscheibe. Nach der Hälfte der Strecke öffnete er seinen Lederrucksack, zog zwei Halbe-Liter-Dosen Bier heraus, gab mir eine und sagte: »Auf ex!«
    Ich trank meine Dose aus, ohne abzusetzen. Ich kannte da einen Trick von Ramona: Man musste gleichzeitig atmen und schlucken. Kassian nahm mir die leere Dose ab, zerdrückte sie mit einer Hand und stopfte sie in den Müllbehälter unterm Fenster. Er hatte seine noch nicht ganz ausgetrunken und gab mir den Rest.
    Als wir bei ihm ankamen, zeigte er mir alle Zimmer im Haus. Er fragte, ob es okay für mich wäre, wenn ich vor ihm pinkeln würde. Zu meiner eigenen Verwunderung hatte ich nichts dagegen. Also führte er mich im ersten Stock in ein geräumiges Badezimmer, und ich setzte mich auf die Toilette und pinkelte, während Kassian sich mir gegenüber an die Wand gelehnt einen runterholte.
    Beim Pinkeln prägte ich mir das sich scheinbar endlos wiederholende Segelbootmotiv auf den Kacheln in Kassians Badezimmer ein. Schließlich bemerkte ich, dass auch das Klopapier mit dem Segelbootmotiv bedruckt war. Kassian stöhnte laut auf, schrie durchdringend, als hätte er Schmerzen, und stand dann eilig auf. Er hatte in ein Kleenex gespritzt, das er in den goldglänzenden Kosmetikmülleimer neben dem Waschbecken warf.
    In der Küche im Erdgeschoss öffnete Kassian den beinahe deckenhohen Kühlschrank und packte einen halben Truthahn aus mehreren Lagen Alufolie aus. Gierig verschlangen wir den kalten Braten, bis nichts mehr übrig war. Jemand schloss die Haustür auf, und eine Frauenstimme rief nach Kassian. Er legte den Finger auf die Lippen. Ich deckte das zerfledderte Vogelgerippe hektisch mit der Alufolie zu und verbarg meine fettigen Hände zwischen den Beinen. Als Kassian auch auf ihr erneutes Rufen nicht antwortete, hörten wir sie sagen, sie sei auch schon wieder weg, sie habe nur ihre Matte vergessen!
    »Was für eine Matte?«, fragte ich, nachdem die Tür ins Schloss gefallenwar. »Keine Ahnung, für irgendeinen affigen Sport eben«, antwortete er finster und bohrte mit einem Zahnstocher zwischen den Zähnen herum, bis es blutete. Er hatte noch weißere Zähne als mein Vater auf dem alten Foto.
    In einem anderen riesigen Bad, direkt neben Kassians Zimmer, hielten wir die Hände gemeinsam unter den heißen Wasserstrahl. Kassian drückte jede Menge türkis schimmernde Seife aus dem Spender und wusch mir die Hände. Dann spülte er sich mit einer türkisfarbenen Flüssigkeit den Mund aus und putzte sich die Zähne.
    Wir schliefen auf seinem großen Bambusbett miteinander. Ich wunderte mich über den banalen Schmerz meiner Entjungferung, während ich auf ein Deckengemälde starrte, das Kassian zeigte: auf einer Schaukel unter Wolken barfuß in einem weißen Anzug Saxophon spielend.
    Hinterher streichelte ich lange seinen Rücken. Es war keine Unebenheit zu spüren, kein Haar, kein Pickel, nicht einmal ein kleiner Leberfleck. Er bewegte sich nicht. Kurz dachte ich, er sei tot, doch plötzlich seufzte er und sagte, ich müsse jetzt gehen, er habe zu tun.
    Während der Sommerferien rief er einmal bei uns an und ließ mir über Reiner, der ihn Karsten nannte, einen schönen Gruß ausrichten. Danach war er nicht mehr auf meiner Schule, und es gab das Gerücht, er besuche ein Eliteinternat in der Schweiz.

ABSTRAKTION
    Seit der Geschichte mit Kassian dachte ich öfter über mein Aussehen nach. Ich betrachtete mich im Spiegel, versuchte mir vorzustellen, wie er mich wohl gesehen hatte, und fragte mich, warum er mich erst wollte – und dann nicht mehr.
    Ich fand meine Arme plötzlich zu lang und meinen Oberkörper im Verhältnis zu den Beinen zu kurz. Meine Brüste – Rohrkrepierer: Wenn ich auf dem Rücken lag, war da einfach nur Flachland. Eigentlich sah ich noch immer so aus wie nach meinem ersten Wachstumsschub.
    Meine Haare waren zwar nicht dick, aber ich hatte sehr viele, hier und da sogar Locken, und sie waren viel dunkler als die von Reiner. Auch waren sie immer zu trocken und zerzausten schnell, weshalb ich andauernd Kletten herausschneiden musste. Und bevor sie lang wurden, brachen

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