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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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angeblich, nachdem er sich fürchterlich über einen Kritiker aufgeregt hatte. Er hatte kurz zuvor geheiratet; bestimmt eine markant schöne Frau mit klaren Augen und interessanten Gedanken.
    Mein Vater hält mir seine Stoppuhr zu nah vors Gesicht. Noch atme ich ruhig. Wenn ich Angst habe zu ersticken, beginne ich zu hyperventilieren, und zu viel Sauerstoff gelangt in mein Blut. Ein unerträgliches Kribbeln breitet sich von den Schläfen über den ganzen Körper aus, ich höre auf zu denken, Unruhe übernimmt die Kontrolle, und meine letzte Chance ist die Ohnmacht. Ich muss in den Bauch atmen, mich nur darauf konzentrieren. Warum in den Bauch? Die Lunge ist im Brustkorb, das weiß jedes Kind, habe ich zu Dr. Ray gesagt. Er meinte, man dürfe das alles nicht so organisch sehen. Ich stelle mir vor, wie er seine Hand auf meinen Bauch legt.
    Mein Vater summt und gibt dem Duftbäumchen einen Schubs. Mein Atem stockt, mir wird übel, und gleich fängt es an zu kribbeln.
    Ich stelle mir wieder Dr. Ray vor, diesmal in einem anderen Pullover, mit einem Bild von Joan Miró drauf. Das Bild heißt:
Sterne im Geschlecht von Schnecken
. Ein Geburtstagsgeschenk von Dr. Rays Mann Klaus.
    Reiner tippt mir auf die Schulter:
    »Alles gut, Stine?«
    »Alles bestens!«
    »Na was, geht doch. Und gleich feiern wir Geburtstag, ob Trixi will oder nicht.«
    Unter normalen Umständen liebt Tante Trixi nichts mehr als im Mittelpunktzu stehen. Sie inszeniert ihre Zustände zu einem öffentlichen Drama. Jedem in ihrer Nähe wird das Problem ständig präsentiert. Deshalb versuchen auch alle, es zu lösen. Trixi verteilt ihren Kummer wie Aufgaben und bekommt eine Menge Lösungsvorschläge. Ich hoffe, dass sie heute endlich das Haus verlässt.
    Reiner geht schon seit einer Woche nicht mehr für sie einkaufen:
    »Der Hunger treibt mein gefräßiges Schwesterlein schon irgendwann aus dem Haus, so viel ist mal sicher!«
    »Ich glaube nicht, dass sie uns heute die Tür aufmacht«, sage ich.
    Reiner haut mir auf die Schulter und sagt: »It’s time for music!«
    Er wühlt im Handschuhfach, fischt etwas heraus, riecht daran und schreit:
    »Fleisch mit Käse! Das Katzenvieh hatte es gut bei uns!«
    Er pustet Staub von dem Drops, leckt darüber, steckt es in den Mund und schluckt, ohne zu kauen: »Guck, ohne kauen. Kann ich auch, wie Friedrich, die alte Giersau!«
    Reiner setzt seine Suche im Handschuhfach fort, wedelt mit einem Feuerzeug darin herum. Es riecht verbrannt, er ruft:
    »Ah, da haben wir den Feind! It’s time for music!«
    Er fuchtelt mit
Rock Romance!
vor mir herum. Ich schlage seine Hand weg.
    »Dabei muss man schweigen«, sagt Reiner und schweigt.
    Dann dreht er »Here I Go Again« von Whitesnake leiser und fragt mich, ob ich noch Jungfrau sei.
    Ich sage:
    »Quatsch!«
    Er schaut aus dem Fenster, wo es außer Schaum nichts zu sehen gibt. Ich bin mir sicher, dass er keine weiteren Fragen hat. Er ist eben mein Vater.
    Dann dreht er sich doch noch einmal zu mir und fragt:
    »War’s der Schnösel von deinem letzten Schultag, der Nackte mit dem Klopapier in der Nase?«
    »Nee, der Idiot doch nicht«, antworte ich und wende mich dem Schaum zu.
    »Bist du in jemanden verliebt?«
    »Nerv mich nicht«, zische ich und halte mir die Ohren zu.
    Er spult die Kassette mehrmals vor und zurück, wir fahren aus der Waschstraße, ich atme tief durch, und wir rauchen zusammen eine Mentholzigarette.
    Ich bin sicher, meinem Vater würde nicht gefallen, dass ich seit einer Weile mit Dr. Ray über meine Probleme spreche. Es war Tante Trixis Idee, sie rief mich plötzlich mitten in der Nacht an und sagte, unser Gespräch neulich habe ihr doch noch ordentlich was zu denken gegeben. Irgendjemand müsse die neurotisch unglücksselige Fehrmannkette durchbrechen – sie wäre für eine erfolgreiche Therapie allerdings schon zu arrogant. Wenn ich zu ihrem besten Kumpel Dr. Joseph Ray ginge, bräuchte ich nicht mal eine Überweisung – und der kenne sich aus mit Metamorphosen. Obwohl ich nicht alles verstand und Dr. Ray eigentlich ein plastischer Chirurg war (der irgendwann auch mal einen Heilpraktikerschein gemacht hatte), vertraute ich ihr. Außerdem war ich froh, dass mir mal jemand auf den Kopf zusagte, dass mit mir etwas nicht stimmt.
    Wir waren uns sofort einig, dass Reiner von meinen Sitzungen bei Dr. Ray nichts wissen braucht.
    Tante Trixi und Dr. Ray lernten sich vor ein paar Jahren kennen, als sie sich von ihm in zahlreichen Sitzungen ihr Linda-Evans-Tattoo

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