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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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weglasern ließ.
    Während er ihren Rücken von Linda befreite, sprach sie über alles Mögliche und schließlich viel über Oma Senta. Er verstand sofort, dass Tante Trixi mit dem Tattoo nicht etwa ihren Mutterkomplex loswerden wollte, sondern tatsächlich Linda, von der sie kurz zuvor ein aktuelles Foto in einem Schmierblatt entdeckt hatte. Starr von zahlreichen Liftings und andern Operationen stand sie in einem lavendelfarbenen Catsuit, der nicht zu ihrem Alter passte, vor einem Studio ihrer Fitnesskette. Auch auf Tante Trixis Rücken war sie sichtbar gealtert, ihr ausgeleiertes Lächeln verbarg sich unter einer Fettfalte. Ein paar geplatzte Äderchen und Leberflecke bedeckten ihr Gesicht.
    Tante Trixi verehrt die Schönheit, verachtet aber Menschen, die sich inübertriebenem Maße mit der Kontrolle über den eigenen Körper beschäftigen. Sie ist der Meinung, das mache Pudding aus dem Geist und entzaubere alles Wahrhaftige.
    Dr. Ray versteht das alles, trotz oder gerade wegen seines Berufes. So wurden sie spontan beste Freunde. Bei seiner Hochzeit war sie Trauzeugin, und auch wir waren alle eingeladen. Obwohl Reiner durch Tante Trixi einiges gewohnt ist, hat er auf dem Standesamt albern rumgekichert, bis er schließlich auf den Flur flüchtete. Immerhin hat er sich bei dem Empfang danach mehrfach entschuldigt. Mit Ramona musste er frühzeitig nach Hause fahren, weil die von dem ganzen Champagner vom Stuhl gekippt war. Noch nie war ihr das zuvor passiert. Bis heute erzählt Reiner immer wieder gern, dass dies einer der besten Tage seines Lebens gewesen sei, wegen Ramonas Slapstickeinlage und da er noch nie so etwas Lustiges gesehen habe, wie zwei Männer auf dem Standesamt.
    Reiner fragt Dr. Ray sogar manchmal nach englischen Vokabeln, um seine Lieblingslieder besser zu verstehen. Um medizinischen Rat würde er allerdings niemanden bitten.
    Dr. Ray ist schon den ganzen Tag bei Tante Trixi. Wir haben uns gestern nach der Schicht im Imbiss gemeinsam überlegt, wie wir Tante Trixi an ihrem Geburtstag endlich aus dem Haus bekommen. Niemandem fiel etwas Gescheites ein und so entschieden wir, dass Dr. Ray zunächst allein mit ihr frühstücken sollte. Bei Franzbrötchen, Amerikanern, Natas, Rosinenschnecken, Champagner mit Waldmeistersirup und Espresso mit Brausepulver darf Tante Trixi neunzig Prozent der Zeit schimpfen und lamentieren, so wie sie es liebt. Dr. Ray und Reiner haben zwischendurch telefoniert. Angezogen hat Tante Trixi sich bis vor einer Stunde noch nicht. Ramona konnte sich gestern nicht an unserem Gespräch zum Thema Tante Trixi beteiligen, da sie weder zu Hause noch erreichbar war. Ich glaube, sie könnte ohnehin gut damit leben, wenn sie Tante Trixi nie wieder sehen würde. Und mein Eindruck, dass Ramona auch gut ohne Reiner leben könnte, erhärtet sich zunehmend. Mein Vater blendet all die Zeichen, die sich mehren, bräsig-zufrieden aus.
    Ohne eine Miene zu verziehen sagt er:
    »Ramona ist schon den ganzen Tag nicht zu erreichen, erst ist sie nicht ans Handy gegangen, jetzt ist es aus. Vielleicht braucht sie einfach ein bisschen Abstand, Stint. Machen wir keine große Sache draus, kommt in den besten Ehen vor.«
    »Na denn, Papa, wie du meinst. Aber dann jammer mich nicht voll, wenn sie irgendwann für immer Abstand will.«
    Seit die Katze tot ist, schläft Reiner nicht mehr im Ehebett, sondern im Wohnzimmer, obwohl er bestimmt einen halben Meter länger ist als die abgenutzte Couch.
    Reiner schreibt Ramona mit einer Hand eine Kurzmitteilung, während er vor Tante Trixis Haus parkt. Als er gerade dabei ist, etliche Ausrufezeichen an die Nachricht dranzuhängen, rammt er beinahe einen Pfahl.
    Wir brauchen dringend etwas von unserer beknackten Normalität zurück und haben deswegen heute einfach alles so gemacht wie jedes Jahr. Der Tisch im
Casa Blanco
ist reserviert, das Auto gewaschen, ich habe ein Geschenk besorgt, und Reiner hat sich die Haare hochgesteckt wie Königin Beatrix.
    Hauptsache, er nennt mich heute nicht mehr »Stint«. Beim Einparken fährt er gegen einen Getränkecontainer.
    »Kann man dem Leben entkommen, wenn man es auf seine Wohnung beschränkt? Kann man das Leben aussperren?«, frage ich leise.
    »Was? Was faselst du da schon wieder? Meinst du, ich kann hier so stehen bleiben, Stint?«
    »Ich weiß nicht, Reiner, ist mir egal, ich will, dass wir sie aus der Wohnung kriegen.«
    »Ach was, Stint! Ruf doch mal Ramona auf dem Handy an, sag ihr, wir sind um zwanzig Uhr auf jeden Fall

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