Das Schwert der Koenigin
Ärmel.
»Kannst du mir jetzt etwas vorlesen?«, fragte Karia.
Martil lächelte. Nach jeder Schlacht, in der er gekämpft hatte, hatte er sich anschließend mit seinen Kameraden betrunken. Zuerst hatten sie dabei der Kämpfe gedacht und mit ihren Heldentaten geprahlt. Nach und nach waren Trinkgelage zu Ehren verlorener Freunde daraus geworden. Dann hatten sie getrunken, um all die Schlachten zu vergessen. Vielleicht war es Zeit, daran etwas zu ändern.
Die anderen gingen dort hinunter, wo Essen auf Feuern briet und Lieder gesungen wurden. Aber im hinteren Teil der Höhlen war es stiller, die Wände aus Decken dämpften den Lärm. Er las ihr eine Sage über einen jungen Mann vor, dessen erstaunliche Katze ihm half, einen Koboldkönig zu überlisten und eine Prinzessin zu heiraten, dann sang er ihr ein Lied vor, bis sie fast eingeschlafen war.
»Musstest du heute jemanden töten?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete Martil, obwohl er sich im Klaren darüber war, dass auf seine Befehle hin ein Dutzend Soldaten von Pfeilen getötet und mindestens drei weitere so schwer verletzt worden waren, dass sie binnen Tagen sterben würden.
»Das ist gut.« Sie gähnte.
»Wie war dein Tag? Wie ist es mit Merren gegangen?«
»Sie ist nett. Sie wollte alles darüber hören, wie du dich um mich kümmerst und wie du etwas für mich tust und freundlich zu mir bist. Und wir haben sogar mit meinen Puppen gespielt.«
»Du hattest Glück«, erwiderte Martil sanft, dann sah er, dass sie eingeschlafen war. Martil blickte einen langen Moment auf sie hinab. Sie sah so schön aus. Allein das Lauschen auf ihren leisen Atem half ihm, sich zu entspannen. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn, bevor er langsam aus der Schlafnische zurückwich, die er für sie eingerichtet hatte, und die dicke Decke fallen ließ, die ihr ein wenig Privatsphäre verschaffte.
Dann drehte er sich um und stieß beinahe mit Merren zusammen, die hinter ihm stand.
»Majestät!«, platzte er heraus.
»Still! Ihr werdet sie wecken. Ich wollte ihr nur einen Gutenachtkuss geben.« Merren hob den Vorhang und warf Karia einen Luftkuss zu. »Wie dem auch sei, ich dachte, wir hätten beschlossen, dass Ihr mich, wenn wir allein sind, Merren nennen sollt. Ich bin hier draußen kaum die Königin von besonders vielen Untertanen, und es stört mich, den ganzen Tag mit ›Majestät‹ angeredet zu werden.«
»Aber sollten wir allein sein?«, fragte Martil. Er war sich ihrer Nähe ebenso sehr bewusst wie der Tatsache, dass er ihr in seinen Tagträumen – und auch den nächtlichen Träumen – nachhing.
»Habt Ihr Angst um meine Sicherheit? Hier, bei dem Auserwählten des Drachenschwertes?«
»Nicht so sehr um Eure Sicherheit, sondern mehr um die Schicklichkeit«, entgegnete er steif.
Merren musste sich den Mund zuhalten, damit sie nicht laut auflachte. »Wir leben in Höhlen mit den wenigen Annehmlichkeiten, die wir aus einer Hütte mitnehmen konnten und aus Sendrics Landsitz, wir rebellieren gegen Herzog Gello, der die Kontrolle über mein Land ergriffen hat, und ich soll mir um Schicklichkeit Gedanken machen?«
Martil war erfreut, dass sie keine Anstalten machte, von ihm wegzurücken. »Wir sollten zumindest achtgeben, sie nicht zu wecken«, sagte er.
Sie entfernten sich langsam von den Schlafbereichen. Merren dachte fieberhaft nach. Das Gespräch mit Karia hatte sie ins Grübeln gebracht. Das kleine Mädchen schaffte es, alle um den Finger zu wickelen. Martil, Barrett, Conal; nicht einmal Sendric war immun gegen ihren Charme. Sie konnte sie dazu überreden zu tun, was immer sie wollte – und sie erreichte, was man ihr normalerweise abgeschlagen hätte, mit einer Mischung aus Charme und der Drohung eines Wutanfalls. Wutanfälle konnten bei einer Königin kaum funktionieren, aber sie hatte andere Waffen. In gewisser Weise war dieses Denken eine Offenbarung für sie gewesen. Immer hatte sie versucht, härter zu sein, als ein König es gewesen wäre. Aber sie war die erste Königin. Sie konnte ausnutzen, was immer ihr zur Verfügung stand, um den Thron und ihr Land zu retten. Und vielleicht würde das bessere Ergebnisse erzielen. Sie hatte bereits bei der Ratssitzung gesehen, wie es funktionierte. Jetzt beschloss sie, es an Martil auszuprobieren.
»Sie hat sich heute Sorgen um Euch gemacht. Sie hatte Angst, dass Euch etwas zustoßen könnte.«
Martil zuckte mit den Schultern. Er hatte vor langer Zeit aufgehört, sich in der Schlacht um sich selbst zu sorgen.
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