Das Schwert des Sehers
aus dem Weg zu räumen.«
Der Hofrat hob beschwichtigend die Hände. »Wir hätten das schon längst wieder in Ordnung gebracht. Aber das Mädchen ist widerspenstig. Sie trifft eigenmächtige Entscheidungen und verschließt sich unserem Rat.«
»Vielleicht hättet Ihr sie auch beizeiten vergiften sollen«, sagte Meris spöttisch.
Von Reinenbach lächelte gequält. »Es war schon schwer genug, sie auf den Thron zu heben. Geeignete Nachfolger wachsen nicht auf Bäumen. Thronerben, auf die sich die Großeneinigen können, die keine eigenen Ambitionen haben und die sich nicht schon einer Partei verschrieben haben. Und wenn es keinen eindeutigen Erben gibt, kann jeder Anspruch erheben. Der Bürgerkrieg würde das Reich endgültig zerreißen.
Nein, wir müssen nehmen, was wir haben. Aruda ist einfach nur ungeschliffen. Wir werden für ihre Erziehung sorgen.«
Meris schnaubte. »Das wird wohl ohne Euch geschehen müssen.«
»Warum?«, fragte von Reinenbach. »Weil du dieses Gift bei mir gefunden hast? Das können wir sicher aus der Welt schaffen. Ich habe dir erklärt, was auf dem Spiel steht, und du hast stets dem Reich gedient. Du bist eine Vertraute der Kaiserin, und wenn wir zusammenarbeiten …«
»Das Reich, das ist nicht der Kaiser«, sagte Meris. »Es sind nicht die Grafen oder deren Länder. Das Reich sind wir alle.«
Von Reinenbach nickte. »Genau das meine ich. Wenn ein Kaiser geopfert werden muss, um das Reich zu retten …«
»Das Reich«, wiederholte Meris, »sind wir alle. Die Kaiserin, der Hofrat … oder die Botin. Wir alle haben unsere Aufgabe in diesem Reich, wir alle dienen ihm.
Aber wie kann es zum Besten des Reiches sein, wenn jeder nach eigenem Gutdünken handelt? Ihr habt Eure Position verlassen, Hofrat. Was würde wohl geschehen, wenn jeder so handeln würde? Wie schnell würde der Botendienst zerfallen, das Reich, einfach alles?
Das Reich besteht nur so lange, wie jedes Glied des Reiches an seinem Platz bleibt. Ihr habt Euren Platz, Hofrat, und der Kaiser ist Euer Dienstherr. Ihr habt dem Reich nicht gedient, Ihr habt Eure Pflicht verletzt.«
»Bponur sei verflucht!« Wütend ging der Hofrat einen Schritt auf sie zu.
Meris zog ihr Kurzschwert.
Ennod von Reinenbach zwang sich zur Ruhe. »Wer hat dir nur diese dumme, einfache Weltsicht eingeredet?«
»Das wart Ihr«, antwortete sie. »So habe ich es von Kind an gelernt, in den Schulen und Heimen Eures Kurierdienstes.«
»Einfache Regeln für einfache Boten«, erwiderte der Hofrat. »Aber die wenigen, die an der Spitze stehen, haben eine größere Verantwortung. Ich musste eine Entscheidung treffen. Auch wenn du das nicht verstehen kannst.«
Meris schüttelte den Kopf. »Ich verstehe es nicht«, sagte sie. »Doch Ihr müsst es mir nicht länger erklären. Ich weiß, dass Ihr mich hinhalten wollt. Aber Ihr wartet vergebens auf Hilfe.«
»Was?« Von Reinenbach zuckte zusammen.
»Natürlich habt Ihr nach Verstärkung geschickt, bevor Ihr eingetreten seid. Sobald Ihr erfahren hattet, dass ich hier aufgetaucht bin. Wen immer ihr erwartet, Boten oder Soldaten, die Euch persönlich ergeben sind – sie werden nicht kommen.«
Von Reinenbach lachte halbherzig. »Bist du unter die Propheten gegangen?«
»Ich gehe nur davon aus, dass Ihr tut, was vernünftig ist«, sagte Meris. »Ihr solltet mir dasselbe zutrauen. Glaubt Ihr, ich bin ohne Verstärkung gekommen?«
»Dieser verfluchte Mönch!«, rief von Reinenbach. »Ich habe gehört, dass du dich mit ihm herumgetrieben hast.«
Meris schüttelte den Kopf. »Das ist eine Angelegenheit des Reiches. Dauras hat dort nie hineingepasst. Ich habe den Kanzler angesprochen. Er war bereit, mir Männer zur Verfügung zu stellen, die das Gebäude sichern.«
»Der Kanzler …« Von Reinenbach wich zu dem Sessel zurück und ließ sich hineinsinken. »Du weißt nicht, was du da getan hast. Wie kannst du mich verurteilen und dich zugleich mit ihm verbünden?«
»Ihr habt es selbst gesagt«, erwiderte Meris. »Ich tue, was nötig ist, um meinen Auftrag zu erfüllen. Ich wusste, dass Arnulf von Meerbergen nicht in die Verschwörung verwickelt ist. Er war in einem Turm eingesperrt, als der Kaiser starb. Also war er mein sicherster Verbündeter.«
»Also«, fragte von Reinenbach, und er klang matt. »Was passiert jetzt?«
Meris schob mit der Klinge den Giftbecher über den Tisch. »Ich könnte sagen, dass ich Euch nicht daran hindern konnte, das hier zu trinken. Oder ich lasse Euch von den
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