Das Schwert des Sehers
Mitglieder des Hofrates, die Fürsten und Grafen bei Hofe, sogar einige hochgestellte Gäste von außerhalb, die schon frühzeitig zum Fest der Freude in die Hauptstadt gereist waren.
Kurz nachdem die Gäste eingetroffen waren, nahm der Kanzler Dauras leutselig beiseite. Mit einem Glas Wein in der Hand, und umringt von seinen persönlichen Rittern, sprach er mit Dauras, als wäre zwischen ihnen nie etwas vorgefallen. Er wies auf die auswärtigen Gäste hin und hob einige der Namen besonders hervor. »Sehen Sie, Mönch«, sagte er. »Ich tue meine Pflicht. Unsere Majestät wird am Feiertag eine Menge neuer Treueeide hören.«
»Ich frage mich«, erwiderte Dauras, »wie Ihr diese Grafen überzeugen konntet. Womit habt Ihr ihnen gedroht?«
»Oh«, sagte Arnulf von Meerbergen. »Das war gar nicht nötig. Es sind kleinere Grafen aus der Provinz. Ein paar Schmeicheleien, Bestechungen oder Versprechen, das war genug, um sie an den Hof zu locken. Zugegeben, sie lösen unsere Probleme nicht. Aber es ist ein Anfang. Je mehr Grafen die Kaiserin anerkennen, umso besser unsere Position.«
Im Laufe des Abends wurde Dauras von vielen der unteren Ränge angesprochen. Die Räte und Fürsten, die ihn kannten, mieden ihn. Aber viele Ritter und Höflinge, und vor allem die Damen, schienen seine Nähe zu suchen. Er war eine Art Sehenswürdigkeit, eine Kuriosität. Man wollte Geschichten von ihm hören, Anekdoten und Abenteuer. Doch Dauras blieb wortkarg.
Schlimmer waren die Ritter, die mit ihren eigenen Taten prahlten. Die laut parlierten und denen anzumerken war, dass sie nur auf eine Gelegenheit warteten, eine Legende herauszufordern. Und am schlimmsten waren die Ritter, die nicht einmal ihn persönlich damit meinten – Dauras, den Schwertkämpfer, der seit zwanzig Jahren unbesiegt geblieben war –, sondern die sich einfach nur mal mit irgendeinem der Schwertmönche von Sir-en-Kreigen messen wollten.
Über jene, die ihn nicht einmal kannten, ärgerte Dauras sich besonders: Diejenigen, die nur die Farbe seiner Kutte sahen und das Schwert. Für die er nur der austauschbare Vertreter eines geheimnisvollen Ordens war.
Er hörte, wie in der Halle über ihn getuschelt wurde.
Habt Ihr gehört? Der Leibwächter der Kaiserin.
Er ist blind!
Der Kanzler ließ Köstlichkeiten auftragen, als wäre der Feiertag zur Wintersonnwende schon gekommen. Fünf Musiker spielten zum Tanz auf. Einer saß vor einem Instrument, das in einem Kasten steckte und über Tasten bedient wurde. Dauras bemerkte die Saiten hinter dem Holz und kam zudem Schluss, dass es eine Art Laute war, die nur auf besondere Weise geschlagen wurde.
Eben dachte er darüber nach, wann er sich unauffällig verabschieden konnte, da bat der Kanzler die Herren nach oben in den Salon. Als Dauras zögerte, trat Arnulf auf ihn zu und fasste ihn am Arm.
Dauras riss sich brüsk los.
Der Kanzler tat so, als hätte er es nicht bemerkt.
»Über Ihr Kommen freue ich mich ganz besonders«, sagte er. »Ich habe eine kleine Überraschung vorbereitet, die, wie ich hoffe, die leidigen Missverständnisse zwischen uns endgültig ausräumen wird.«
Dauras traute dem Lächeln des Kanzlers nicht. Es war eine erlesene Gesellschaft, die Arnulf von Meerbergen neben Dauras in den Salon bat, nur Personen von fürstlichem Stand oder von hohem Rang, Richter und Hofräte. Die paar Ritter, die der Kanzler dabeihatte – seine persönliche Leibwache – schätzte Dauras nicht als Gefahr ein.
Er ließ seine Sinne weiter ausgreifen, durch das ganze Gebäude und hinaus in die Gassen. Er nahm keine Bedrohung wahr, keine verborgenen Bewaffneten, nur die Gäste, die unbeschwert feierten. Die Ritter, die man nicht nach oben gebeten hatte, genossen die Aufmerksamkeit der Damen. Die Diener hatten nichts anderes im Sinn als ihre Pflicht, Dauras spürte keine Anspannung, die verraten hätte, dass irgendjemand im Haus von weitergehenden Plänen des Hausherrn wusste.
Nichts wies darauf hin, dass der Kanzler eine Verschwörung vorbereitet hatte, einen Hinterhalt, der außer Dauras auch all die Zeugen ausschalten konnte.
Aber Arnulf plante etwas, davon war Dauras überzeugt. Er ahnte, dass hinter der Einladung etwas steckte, und das war Grund genug mitzugehen.
Dauras deutete eine Verbeugung an. »Es ist mir ein Vergnügen, in Eurer Nähe zu bleiben«, sagte er.
Neben dem Kanzler stieg er die Treppe hinauf. Arnulfs Ritter folgten ihnen. Dauras musterte die Männer des Kanzlers verächtlich, und er
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