Das Schwert des Sehers
Hals des Tieres.
Und dann sah Meris, wie ihr eigenes Tier weiter vorn zu Boden stürzte, und Dauras war neben ihr und brüllte: »Vorsicht. Noch eins. Über dem Boden!«
Aruda sah, wie das Pferd vor ihr strauchelte. Sie brachte ihres scharf zum Stehen und glitt aus dem Sattel. Ein weiteres Seil war zwischen zwei Bäumen über den Weg gespannt, dieses Mal weniger als kniehoch. Aruda führte ihr Pferd darüber hinweg. Dann bückte sie sich und strich mit dem Finger über die Schnur. Es war ein fest geflochtenes Seil aus dünnen Lederriemen, schwarz und fast unsichtbar in der Dunkelheit.
Aruda sah das gestürzte Pferd vor sich liegen. Es ruderte mit den Beinen und kam nicht wieder auf die Hufe. Es musstesich etwas gebrochen haben. Sie erinnerte sich daran, dass es Meris’ Stute gewesen war und dass die Reiterin irgendwo hinter ihnen zurückgeblieben war.
Sie sah sich um.
Dauras zügelte sein Pferd neben der Botin und beugte sich zu ihr hinab. Mit einem Fluch fuhr er wieder hoch und stieß die linke Hand in die Luft. Aruda hörte ein Klatschen, dann einen dumpfen Laut.
Dauras trieb sein Pferd an. Er tauchte unter dem hohen Strick hindurch. »Reitet weiter!«, rief er Aruda zu. »Reitet weiter!«
Aruda wagte nicht aufzusitzen. Wer weiß, wie viele Stricke noch über den Weg gespannt waren. Sie führte ihr Pferd weiter am Zügel.
Dauras kam heran. Vor dem tief hängenden Seil wollte er sein Pferd springen lassen, aber er war kein guter Reiter, und das Tier verstand ihn nicht. Es scheute und stieg. Dauras fiel vom Pferd. Er rollte sich ab, sprang auf die Füße und fasste sein Pferd am Zügel.
Aruda blieb stehen und starrte ihn an. Er war nicht einmal über sein Schwert gestolpert, das er am Gürtel trug. Wie hatte er das geschafft? Meris war nach ihrem Sturz nicht wieder aufgestanden.
»Meris …«, sagte sie.
Dauras führte sein Pferd über das Hindernis. Er sprang wieder in den Sattel und zog Aruda zu sich hinauf. »Keine Zeit dafür«, sagte er. Dann ritt er los und zog das andere Pferd am Zügel mit sich.
Aruda saß vor ihm. Sie fühlte sich wie betäubt. Alles war so schnell gegangen, und … sie erinnerte sich daran, dass Dauras nur eine Hand benutzt hatte, als er sie auf das Pferd zog, und den zweiten Zügel hielt er in derselben.
»Was ist mit deiner Linken?«, fragte sie.
»Meine Rechte genügt«, erwiderte er.
Sie ritten auf der Hauptstraße. Aruda atmete auf. Hier war es weit schwieriger, ein Seil zu spannen.
»Wir müssen zurück«, rief sie. »Wir müssen Meris retten.«
»Natürlich müssen wir das.«
Aruda verstummte. Sie hatte Widerspruch erwartet.
»Was ist?«, fragte Dauras. »War es nicht das, was Ihr hören wolltet?«
»Doch … doch«, stammelte Aruda. »Aber ich dachte, du würdest etwas anderes sagen. Dass es zu gefährlich ist. Dass du mich erst in Sicherheit bringen musst, und dass wir sie vergessen sollen.«
»Warum sollte ich so etwas sagen?«
»Weil … weil es das ist, was man von einem Leibwächter erwartet. Weil Meris selbst es bestimmt gesagt hätte.« Die Botin würde wütend sein, wenn Dauras ihretwegen umkehrte und Aruda in Gefahr brachte.
»Ja«, räumte Dauras ein. »Aber das sind gewöhnliche Menschen. Schwächere Menschen, die sich damit abfinden, dass sie nicht alles erreichen können. Die lieber nach Hause bringen, was sie sicher haben, und ihre Verluste klein halten, anstatt nach dem zu greifen, was sie haben könnten.
Ich hasse es, so zu denken.«
Dennoch ritt er weiter, immer weiter fort von dem Gasthaus und der Gefährtin, die sie verloren hatten. »Willst du … willst du dann nicht umkehren?«, fragte Aruda.
»Ich brauche erst einmal einen sicheren Ort. Und einen Augenblick Zeit. Ich brauche einen Plan!«
Die Krieger zerrten Meris hoch und schleifen sie zurück zum Haus. Sie fühlte sich bereits am ganzen Leib zerschlagen, aber sie steckte noch mehr Prügel ein, mit Fäusten undSpeerschäften. Wahrscheinlich konnte sie froh sein, dass sie überhaupt noch am Leben war. Die Angreifer hatten bei dem Scharmützel ein halbes Dutzend ihrer Kameraden verloren. Sie mussten wütend sein.
Die Männer schafften Meris in die kleine Gaststube. Dort räumten sie die Tische und Bänke zur Seite und stapelten sie übereinander, um Platz zu schaffen. Hinter ihnen trat ein Edelmann mit langen braunen Haaren, einem glatten Gesicht und in Gewändern, die Wohlstand verrieten, ein. Lässig setzte er sich zwischen die aufgestapelten Möbel, und ein Diener
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