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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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hinter dem sich die Kirche der Stadt in einen blauen Himmel erhob. Soldaten bildeten eine Gasse, die durch die Menschenmenge führte. An ihrem Ende stand ein großes hölzernes Podest mit Stufen, die zu einem breiten, gepolsterten Stuhl emporführten, auf dem ein Junge saß.
    Er war dunkelblond und hatte ein schmales, weiches Gesicht. Seine Roben sahen orientalisch aus, waren bunt und kunstvoll bestickt, ebenso wie die Schuhe, die unter dem Gewand hervorragten. Er konnte nicht älter als fünfzehn sein.
    Die Soldaten führten uns vor das Podest, zwangen uns auf die Knie und knieten dann ebenfalls.
    Der Junge hob die Hand.
    »Ruhe!«, schrie ein Offizier. Er ging die Gasse hinab und hielt drohend seine Lanze hoch. »Ruhe!«
    Es wurde still.
    Der Junge schlug die Beine übereinander. Sein Fuß wippte vor und zurück. »Mein Name ist Raimond-Roupen de Poitiers«, sagte er, und sein Deutsch war so weich wie sein Gesicht. »Das Vergnügen, über euch zu richten, wollte ich mir nicht nehmen lassen.«
    Die Menge scharte sich um die wenigen, die ihn verstanden, und lauschten deren Übersetzung.
    »Wie soll ich euch Juden anreden, die ihr es gewagt habt, den Frieden unserer Stadt zu stören?«
    Diego sah auf. »Mein Name ist Diego, und meine Begleiterin ist keine Jüdin. Sie ist eine ehrenwerte christliche Frau, die ich zu schützen geschworen habe. Ihr habt keinen Grund, über sie zu richten. Sie hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.«
    Durch die Übersetzung dauerte es einen Moment, bis ein Raunen durch die Menge ging. De Poitiers lächelte. »Die Geschichte wird verworrener – wie schön.« Er klatschte in die Hände. »Bringt die Ankläger!«
    Ich drehte den Kopf. Die drei Soldaten, die uns angegriffen hatten, schritten durch die Gasse. Sie hatten ihre Harnische poliert, Waffen und Stiefel blitzten. Das Gesicht des einen war verschorft, das des anderen immer noch verquollen. Nur dem dritten war keine Verletzung anzusehen. Sie traten rechts von uns vor das Podest und knieten nieder.
    De Poitiers bedeutete ihnen mit einer Geste aufzustehen, dann beugte er sich vor und betrachtete sie. »Wie soll ich euch anreden?«
    Der Soldat mit dem verquollenen Gesicht trat vor. »Mein Name ist Berthold, Herr«, sagte er undeutlich. »Die anderen beiden heißen Adam und Klaus.«
    »Das muss ein schwerer, langer Kampf gewesen sein«, sagte de Poitiers. »Seht ihr eure Gegner unter all den Menschen hier?«
    »Ja, Herr.« Berthold zeigte auf Diego. »Er, Herr.«
    »Und wer noch?«, fragte de Poitiers und legte seine Hände auf die Knie.
    Der Sprecher der Soldaten drehte sich zu seinen Kameraden um, dann sah er den Richter wieder an. »Nur er, Herr. Das Weib hat sich nicht eingemischt.«
    »Willst du damit sagen, dass ein Mann … nein, ein Jude euch so verdroschen hat?« De Poitiers machte eine Pause. »Ist dir das nicht peinlich?«
    Die Menge lachte nach einem Moment. De Poitiers wirkte zufrieden. Wie ein Gaukler genoss er es, Publikum zu haben.
    Berthold blinzelte verwirrt, hatte sich die Sache anscheinend anders vorgestellt. »Nun«, sagte er in das Gelächter der Menge hinein. »Es ging alles sehr schnell. Er hat uns überrascht, indem er uns aus dem Hinterhalt angegriffen hat.«
    »Er lügt!«, rief ich.
    De Poitiers hob mit missbilligendem Blick die Hand. »Nicht jetzt.« Er wandte sich wieder an die Soldaten. »Ein unbewaffneter Jude greift drei Soldaten am helllichten Tag direkt neben dem Stadttor an. Soll ich mir das so vorstellen?«
    Berthold schien seinen Mut zusammennehmen zu müssen. Er schluckte. »Ja, Herr.«
    »Bei dieser Antwort möchtest du bleiben?«
    »Ja …«
    »Nein, Herr.« Klaus, der Soldat mit dem aufgeschrammten Gesicht, zog Berthold am Arm zurück. »Es war kein Überfall, sondern ein offener Kampf, Herr.«
    »Den ihr verloren habt.«
    »Ja, Herr.«
    De Poitiers wandte sich an die Menge. »Wundert sich da noch jemand, dass wir Jerusalem nicht zurückerobern können?« Er breitete die Arme aus, als die Menschen lachten. Seine Hände waren schmal und wirkten zu klein für die vielen Ringe, die er trug. Er sah die drei Soldaten an und wurde ernst. »Geht mir aus den Augen und meldet euch bei eurem Kommandanten. Er soll entscheiden, was mit euch zu geschehen hat.«
    »Ja, Herr.« Die drei Soldaten verneigten sich tief vor dem Richter, dann verschwanden sie in der Menge.
    Mein Mund wurde trocken, als sich de Poitiers mir zuwandte. Er hatte kalte blaue Augen, die ihn älter wirken ließen, als er war. »Du bist

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