Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Tagen teilten wir ein Feuer, aber wir achteten aufeinander, als wären wir eine Familie. Ich wollte sie nicht ausei nanderreißen, nicht nachdem ich schon meine Mutter und meine Geschwister im Stich gelassen hatte.
Doch dann sah ich den Stolz in den Augen meiner Söhne. Sie wollte ich noch weniger als irgendeinen anderen enttäuschen. Also nickte ich. »Sag Nicolaus, dass ich mich sehr darüber freue und hoffe, ihn nicht zu enttäuschen.«
»Das werde ich.« Lukas wandte sich ab.
Ich sah, wie er zu Nicolaus ging, der wie immer von Menschen umringt war. Sie folgten ihm wie Vieh einem Bauern zur Fütterungszeit.
Lukas wartete, bis Nicolaus sein Gespräch beendet hatte, dann sagte er etwas. Nicolaus sah kurz zu mir herüber und lächelte. Ich errötete und neigte rasch den Kopf, damit er es nicht bemerkte. Eine Haarsträhne fiel mir ins Gesicht. Seit dem Morgen, den ich aus meiner Erinnerung zu tilgen versuchte, hatte ich das Gebende nicht mehr getragen.
»Du musst unbedingt alles erzählen, was er sagt.« Konrad klang aufgeregt.
»Wenn es ihm recht ist.« Ich räusperte mich. »Aber vorher musst du mit Cornelius betteln gehen, so wie Lukas es angeordnet hat.«
Hugo lachte so hämisch, dass ich ihn beinahe zurechtgewiesen hätte. Konrad zog die Mundwinkel nach unten. »Cornelius ist blöd.«
»Er ist einer deiner Mitstreiter.« Ich sah mich um. Der Junge stand weit weg und hörte uns nicht. »Du musst ihn mit Freundlichkeit und Respekt behandeln, auch wenn es dir schwerfällt. Gerade, weil es dir schwerfällt.«
Konrad senkte den Blick und bohrte seine nackten Zehen in den Sand. »Ich will aber nicht.«
»Du musst.«
»Ich gehe nur, wenn du mitkommst.« Es war der gleiche Tonfall, den sein Vater benutzt hatte, wenn er versuchte, einer unangenehmen Aufgabe aus dem Weg zu gehen. Ich hatte ihm nie widerstehen können.
»Also gut, dann komme ich mit.«
Konrad sah seinen Bruder triumphierend an, und das Grinsen verschwand aus Hugos Gesicht. »Das ist nicht gerecht. Wir wollten doch Holz sammeln, Mutter.«
»Das machen wir später. Der Tag ist noch lang.« In Wirklichkeit hatte ich es vergessen. Anscheinend verlernte man schnell, Mutter zu sein.
Bonn war eine ganz andere Stadt als Köln und tatsächlich kleiner und enger, so als wäre sie innerhalb ihrer hohen Mauern gefangen. Wir folgten den Bauern und Kaufleuten, die ihre Waren zum Markt brachten, bis zu einem Platz, an dessen Rand eine dunkle, mit Gerüsten versehene Kirche stand. Sie war um ein Dutzend faches größer als die Dorfkirche von Winetre, aber nach dem Dom in Köln erschien sie mir trotzdem klein.
Ihre Türen waren geöffnet. Mönche saßen davor auf Bänken in der Sonne. Ein Quacksalber stand auf einem Schemel und bot mit lauter Stimme eine Tinktur gegen Zahnschmerzen und Durchfall an, doch zu so früher Stunde hörten ihm nur einige Bettler zu.
Einen Steinwurf entfernt befand sich ein Pranger. Sein Funda ment war aus Stein, die Plattform, zu der eine Leiter führte, aus Holz. Menschen hatten sich davor versammelt und bewarfen – hauptsächlich mit Abfällen und Kuhfladen, aber auch mit Lehm, Holz oder kleinen Steinen – einen Mann, der gekrümmt am Pranger hing. Seine Hände und sein Kopf steckten in engen Holzlöchern, der Schädel war kahlgeschoren und schorfig, sein Gesicht so verdreckt, dass man nicht einmal sein Alter schätzen konnte. Er stöhnte und schrie hin und wieder, wenn er von einem Stein getroffen wurde.
Cornelius unterbrach die Geschichte, die er gerade erzählt hatte. Sie hatte wahrscheinlich von seinem Vater gehandelt, so wie all die Geschichten, die er bisher zum Besten gegeben hatte, aber ich hatte ihm schon seit einiger Zeit nicht mehr zugehört.
»Was hat der Mann getan?«, fragte er.
Auch Konrad starrte den Mann am Pranger mit weit aufgerissenen Augen an.
Ich sah mich um. Der Platz vor der Kirche war voller Menschen, die Stände aufbauten, Waren verkauften oder kauften. Ich sprach eine junge Frau an, die Kisten mit getrocknetem Fisch von einem Ochsenkarren lud.
»Entschuldige, Schwester, weißt du, was der Mann getan hat, um so bestraft zu werden?«
Sie sah auf. Ihr Gebende war verschmutzt und gelb von Schweiß. »Geklaut hat er, der Dummkopf. Das Pferd eines Reisenden. Doch der Stallmeister, dem er es verkaufen wollte, hat das Tier wiedererkannt und die Wache gerufen. Bis zum Mittag muss er da stehen, dann wird er gehenkt.« Sie hievte eine sichtlich schwere Kiste vom Karren, stellte sie ab und wischte sich den
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