Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
gegen Abend sah ich ihn wieder. Den ganzen Tag über waren wir einer breiten Straße gefolgt, die sich dem Rhein entlangwand. Es war ein gutes, fruchtbares Land mit Feldern, auf denen der Roggen und der Weizen hoch standen. Die Menschen waren freundlich und großzügig, obwohl wir einander kaum verstanden. Einige schlossen sich uns an, aber die meisten blieben in ihren Dörfern.
Ich entdeckte Diego an einer Weggabelung. Ein wohlhabend aussehender Mann mit dichtem dunklem Backenbart stand neben ihm. Mehrere Karren reihten sich an der Straße auf. Knechte breiteten Waren auf großen Decken aus. Bewaffnete Wachen sahen ihnen gelangweilt zu.
Lukas löste sich aus der vordersten Gruppe und ging zusammen mit einigen Jungen, darunter auch Hugo, auf den Händler mit dem Backenbart zu. Nicolaus blieb zurück. Seit Svens Tod hatte er kaum ein Wort gesprochen.
Ich schob mich an den Menschen vorbei, die langsamer geworden waren oder sich bereits ins Gras zu beiden Seiten der Straße setzten.
»Alles, was ihr hier seht, könnt ihr auch kaufen«, hörte ich den Händler sagen, als ich näher kam. »Frische, gute Ware, direkt aus dem Kloster.«
»Was für ein Kloster?«, fragte Lukas. Langsam ging er an den Kisten und Fässern vorbei. Er erinnerte mich an einen Burgherrn, der die Abgaben seiner Bauern überprüfte.
»Das der Benediktinermönche, keinen halben Tag von hier. Ihnen gehört die ganze Gegend.« Der Händler zog an seiner Weste. Er trug gute, teure Kleidung in bunten Farben, die seinem Stand nicht angemessen waren. Er musste reich sein, sonst hätte er die Strafen, die ihm dafür auferlegt wurden, kaum bezahlen können.
Sein Blick glitt über die lange Schlange der Kreuzfahrer, so als versuche er sie durchzuzählen. »Ihr habt eine Menge Mäuler zu stopfen und noch einen weiten Weg zu gehen. Ich habe schon viel über euch gehört, und aus Respekt vor eurem Mut und eurem Glauben werde ich euch natürlich einen guten …« Er zögerte und schüttelte den Kopf über sich selbst. »… ach was, einen hervorragenden Preis machen. Ich will mich nicht an denen bereichern, die dem Willen des Herrn folgen.«
»Keine Sorge, das wirst du nicht.« Etwas Bedrohliches schwang in Lukas’ Stimme mit.
Der Händler wich einen Schritt zurück. Ich sah zu Nicolaus, doch der schien der Unterhaltung nicht zu folgen. Sein Blick war nach innen gekehrt, seine Lippen bewegten sich wie im Gebet.
»Ich meine es ernst«, sagte der Händler. Nervös leckte er sich über die Lippen. »Ihr werdet nicht mehr zahlen, als mir die Brüder abgeknöpft haben. Darauf gebe ich mein Wort.«
Lukas nickte kurz den Jungen zu, die hinter ihm standen, und sie traten vor. Mein Mund wurde trocken, als ich den Knüppel in Hugos Hand sah.
Nun bemerkten auch die Wachen, dass etwas nicht stimmte. Die Stimmung war umgeschlagen wie das Wetter am Ende eines schwülen, heißen Sommertags. Ein Gewitter lag plötzlich in der Luft.
»Pass auf, gleich wird sich Hugo prügeln«, hörte ich Konrad sagen. Er stand mit Erik einige Schritte hinter mir. »So wie damals mit dem Gesellen. Den hat er …«
Ich verstand nicht, was er danach sagte, denn Diegos Stimme übertönte die seine, wahrscheinlich nicht unabsichtlich. »Was Lukas meint«, begann er, »ist, dass eine Spende von einem wohlhabenden, gottesfürchtigen Mann wie dir uns sehr willkommen wäre und …«
»Ich kann selbst sagen, was ich meine und was nicht«, unterbrach ihn Lukas. Seine Stimme war hart und scharf wie eine gezogene Klinge.
Diego sah ihn an. »Dann sag es.«
Die beiden standen sich gegenüber, Mann und Junge. Die Knechte unterbrachen ihre Arbeit. Der Händler wich weiter zurück, in Richtung seiner Wachen, die nervös zusammenrückten. Sie waren zu zehnt und gewöhnt daran, allein durch den Anblick ihrer Schwerter Gesindel und Wegelagerer zu vertreiben. Wir machten ihnen Angst.
»Sag es.« Diego ging einen Schritt auf Lukas zu. Er war etwas größer als der Junge. Ich fragte mich, ob er sich noch an den Rat erinnerte, den er mir gegeben hatte.
Lukas hielt seinem Blick stand, das Kinn vorgestreckt, die Augen zusammengekniffen. Seine Hände ballten und öffneten sich.
»Ich will alles!«, stieß er dann so unerwartet hervor, dass Diego blinzelte. »Alles, was er ausgelegt hat, alles auf dem Karren, alles, was er besitzt. Ich will alles!«
Einer der Knechte drehte sich um und lief davon. Niemand hielt ihn auf.
»Bitte nicht.« Der Händler fiel zwischen seinen Wachen auf die Knie. »Mein
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