Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
erschaudern.
Hugo beachtete die Leiche nicht. Er hielt Nicolaus’ Stab in der Hand und ließ den Blick über die Mauer gleiten, auf der Suche nach Angreifern. Es war mir klar, dass er sein Leben geben würde, wenn Nicolaus es verlangte. Das ängstigte mich, erfüllte mich jedoch zugleich mit Stolz. Ich wandte den Kopf und sah, dass Konrad, Erik und Cornelius hinter einem Karren hockten und durch die Radspeichen zu der Leiche hinüberstarrten. Der Tod des alten Mannes schien sie stärker zu berühren als Hugo.
Ich zuckte zusammen, als Metall klirrte. Hinter den Mauern erklang ein schleifendes, lautes Geräusch, dann polterte etwas. Das Tor wurde einen Spalt weit geöffnet. Ein Mönch trat heraus. Vor dem großen Holztor mit Eisenringen so breit wie Kuhköpfe wirkte er wie ein Kind. Mit den Händen rieb er sich die Oberarme, so als würde er frieren.
»Bitte tut uns nichts«, sagte er. »Wir sind nur Diener Gottes, die keinem etwas Böses wünschen.«
Sein Blick fiel auf die Leiche. Er blinzelte und wandte den Kopf, damit er sie nicht mehr sehen musste.
»Das klang aber eben noch anders«, murmelte Ott.
Der Mönch blieb stehen. Er war jung und hatte ein weiches, rundes Gesicht. Unsicher drehte er sich zum Tor um, so als erhoffe er sich Rat von seinen Ordensbrüdern, die sicherlich dahinter warteten.
Nicolaus nahm Hugo seinen Stab aus der Hand und ging langsam auf den Mönch zu. Sein Hemd war schweißnass und klebte an seinem Rücken. Er blieb vor dem Mönch stehen. Dessen Blick flackerte. Er hatte Angst.
Nicolaus rammte den Stab in den Staub, dann umarmte er den Mönch. Eine ganze Weile blieben sie so stehen, und dann – ob aus Verzweiflung oder Überzeugung, kann ich nicht sagen – erwiderte der Mönch die Umarmung.
Nicolaus klopfte ihm auf die Schulter und löste sich von ihm. »Kommt heraus!«, sagte er so laut, dass man es auch hinter den Klostermauern hören musste. »Lasst uns den Bruder, den ihr verloren habt, gemeinsam begraben, so wie Jesus Christus es gewollt hätte.«
Er ging zu der Leiche, bekreuzigte sich und legte die Hände um den Schaft des Speers. Dann nickte er dem Mönch zu. Der stellte sich neben ihn und legte seine Hände ebenfalls um den Schaft. Gemeinsam zogen sie den Speer aus der Brust des Toten. Das Banner glitt von seinem Gesicht. Die Augen waren aufgerissen, der Schädel vom Aufprall eingedrückt.
Um mich herum bekreuzigten sich Menschen. Ich sah kurz zu Diego hinüber. Er stand reglos da und beobachtete die Vorgänge.
Nicolaus schnitt das Banner vom Speer ab und breitete es wieder über dem Toten aus. Den Speer zerbrach er über seinem Knie. »Wir brauchen ihn nicht mehr. Kein Diener Gottes, ob Kreuzritter oder Mönch, soll einem anderen Leid zufügen. So will es der Engel.«
»Amen«, sagte Hugo. Das Wort wurde von vielen anderen aufgenommen, im Kreuzzug und im Kloster.
Nicolaus ergriff die Hände der Leiche und drückte sie brüderlich. »Wo begrabt ihr eure Toten?«
»Ich zeige es dir.« Der Mönch drehte sich zum Tor um, das laut knarrend zur Gänze geöffent wurde. Mehr als zwei Dutzend Mönche standen dort, schweigend und nervös. Ich sah alte und junge zwischen ihnen, darunter auch die beiden Jungen, die den alten Mann gestützt hatten. Ihre Tonsuren waren nicht größer als Münzen. Anscheinend waren sie erst vor Kurzem ins Kloster eingetreten.
Nicolaus ließ den Toten los, ging zu den Mönchen und umarmte jeden einzelnen. Hugos Haltung spannte sich, er fürchtete wohl, einer von ihnen könnte eine Klinge im Ärmel seiner Kutte verbergen. Doch nichts geschah. Die meisten Mönche ließen es zu, dass Nicolaus sie an sich drückte, einige wenige erwiderten die Geste sogar.
Lukas stand auf und drehte sich zu uns um. »Kommt«, sagte er. »Begrüßt sie. Zeigt ihnen, dass sie richtig gehandelt haben, indem sie uns das Tor öffneten.«
Zögerlich setzte sich der Kreuzzug in Bewegung. Konrad tauchte neben mir auf. »Darf ich auch?«, fragte er.
Ich nickte und nahm seine Hand. »Wir gehen zusammen.«
Einige Mönche kamen uns entgegen. Sie trugen Schaufeln. Ich begrüßte sie freundlich, so wie es Lukas verlangt hatte. Sie nickten, wagten es aber nicht, mir in die Augen zu sehen.
»Wer war der alte Mann?«, fragte Konrad, als sie sich abwenden wollten.
»Vater Augustinus«, sagte einer der Mönche. Seine Tonsur war deutlich größer als die der Novizen, die neben ihm standen. »Unser Abt.«
»Ist er jetzt im Himmel?«
»Ja.« Der Mönch nickte. »Das ist er.«
Er
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