Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
2011 · Regie: Martin Scorsese · Darsteller: Asa Butterfield, Chloë Grace Moretz, Ben Kingsley, Sacha Baron Cohen, Ray Winstone, Christopher Lee, Emily Mortimer, Jude Law, Michael Stuhlbarg
★★★✩✩✩
Die großen Bärtigen des New Hollywood, die US-Autorenfilmer der 70er-Jahre – wo sind sie heute? Lucas veräußert sein Lebenswerk an Disney, Milius sammelt Waffen und findet zumindest noch als Remake statt (herrlich verrückt: Red Dawn ), Spielberg gestaltet sein beeindruckendes Spätwerk zwischen John-Ford-Hommage und persönlicher Dringlichkeit, Coppola ist mittlerweile kauziger Privatgelehrter mit Tendenz zum Kunstfilm – und Scorsese? Der immer wieder als bester lebender Regisseur der Welt titulierte Italo-Amerikaner, der in seiner Blütezeit wahrlich nicht wenige unantastbare Meisterwerke ablieferte, hat seit seinem letzten ansatzweise zeitgenössischen New-York-Film Bringing Out The Dead (1999) einen erratischen Zickzackkurs eingeschlagen, in dessen Verlauf immer mehr der ihm eigenen inhaltlichen Kinetik verloren ging. Vom historisierenden Gewaltepos Gangs of New York über das klassizistische Biopic Aviator und das Oscar-prämierte Hongkong-Remake Departed bis hin zum überdrehten Psycho-Horror Shutter Island ging die Reise und zeigte ein ums andere Mal einen technisch extrem profilierten Regisseur auf der Höhe seines inszenatorischen Könnens, der jenseits perfekt gemachten Pomps aber nicht mehr wirklich viel zu sagen hatte. All diese Filme sind wahre Glanzstücke des Produktionsdesigns, des Schnitts, der Kamera – eben all dessen, wofür das klassische Hollywoodkino stand. Damit ist Scorsese nun endgültig an jenem mythischen Ort angekommen, dem er mit Frühwerken wie Wer klopft denn da an meine Tür? , Hexenkessel oder Taxi Driver ein obsessiv geprägtes, schmutzig-naturalistisches Gegenmodell vor die Füße warf. Was nicht wirklich überrascht, denn ein großer Fan und Kenner des amerikanischen Films der Studio-Ära war er schon immer, und auch in seinen ganz frühen Low-Budget-Meisterwerken finden sich bereits Referenzen auf Klassiker von John Ford & Co. Doch in den letzten fünfzehn Jahren ist dieses Interesse an der Filmgeschichte zunehmend in den Fokus seiner filmischen Aufmerksamkeit gerückt, eine Entwicklung, die nun in Hugo Cabret ihren vorläufigen Höhepunkt findet.
In der Verfilmung des Jugendbuchs von Brian Selznick erzählt er – erstmals in 3D und mit zahlreichen CGI-Effekten – die Geschichte des Waisenjungen Hugo, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts unbemerkt von der Öffentlichkeit in den Katakomben eines Pariser Bahnhofs lebt. Immer auf der Flucht vor dem erbarmungslosen Zugriff des Bahnhofsvorstehers gestaltet er seine Tage mit kleinen Diebstählen und dem Aufziehen und der Wartung aller Uhren des Gebäudes. Denn Hugos Talent und Leidenschaft sind Maschinen und ihre Reparatur. Seine größte Herausforderung ist ein defekter mechanischer Mann, der ihm von seinem verstorbenen Vater hinterlassen wurde und der ein Geheimnis in sich trägt. Den Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels bietet der verbitterte Spielzeugverkäufer Georges, der sich schließlich als der leibhaftige Pionier und Miterfinder des Kinos Georges Méliès entpuppt. Und so wird die Geschichte nach der ersten Hälfte des Films, die sich vor allem um Hugos Dickens’schen Leidensweg und seine Freundschaft zu Georges’ Stieftochter Isabelle dreht, in der zweiten Hälfte zu einer farbenfrohen Reise an den Beginn der Kunstform, der Scorsese hier eine hymnische Liebeserklärung machen will. Dabei begibt er sich auf bisher unbekanntes Terrain, denn nicht nur ist dies Scorseses erster Versuch eines Kinderfilms inklusive jugendlicher Helden und KiKa-kompatibler Slapsticknummern, sondern auch sein erster unverhohlen pädagogischer Film. Und daran leidet dieses eigentlich schön anzusehende, wenn auch in seiner CGI-Parishaftigkeit ausgerechnet wiederholt an Pixars Ratatouille erinnernde Stück ganz gewaltig: Scorsese möchte den Zauber des Kinos und die Macht des Träumens beschwören, wird dabei aber leider zunehmend akademisch und vor allem unangenehm nostalgisch. Da helfen auch James Horners schwellender Score und Ben Kingsleys jungenhaftes Spiel nicht – wenn Onkel Marty über die gute alte Zeit doziert und ein Plädoyer für die Konservierung der altvorderen Meisterwerke hält, wird’s ziemlich verstaubt, und es knarzt im Gebälk. Hier wird klar, was den mittlerweile 70-Jährigen an der
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