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Das sechste Opfer (German Edition)

Das sechste Opfer (German Edition)

Titel: Das sechste Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Johannson
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erkannte. Vor Mathias, dem Redaktionsleiter, hatte ich keine Angst, den kannte ich zu gut. Er war ein ruhiger und bedachter Zeitgenosse, der es schaffte, stundenlang mit seiner Tochter zu telefonieren und trotzdem in der Redaktion alles unter Kontrolle zu haben. Sein Haar war schon wesentlich dünner und kahler als meines, obwohl er nur wenige Jahre älter war als ich. Aber dafür spielte er manchmal mit dem stellvertretenden Bürgermeister Tennis und verbrachte seine Ferien mit der Familie auf seinem Landgut in Kalabrien.
Als ich sein Büro betrat, sah er mich mit großen, überraschten Augen an.
»Peter! Dass du noch mal hierher kommst! Wie geht es dir?«
»Liest du keine Zeitung? Beschissen.«
»Das hab ich gehört. Was ist los?«
»Ich war's nicht, falls du das wissen willst. Und ich hoffe, du hast nicht die Polizei gerufen.«
»Nein!«
Die Antwort kam zu schnell und zu laut. Ich stöhnte innerlich auf. Also hatte ich keine Zeit zu verlieren. Ich legte ihm das Notebook auf den Tisch, nahm seinen USB-Stick aus der Ablage und speicherte meinen Artikel darauf. Dann legte ich ihn auf den Schreibtisch.
»Darin steht, wer's war.«
»Was soll ich damit?«
»Du sollst das drucken. Das ist eine Geschichte, die so unglaublich ist, dass sie deine Auflage in die Höhe schnellen lässt, glaub mir. Das ist eine Bombe.«
Er legte den Kopf schief. In der Ferne konnte ich den vertrauten Klang der Polizeisirenen hören. Ich musste weg. »Mathias, bitte, druck das. Du wirst es nicht bereuen, ehrlich nicht.«
Er nickte zögerlich. »Aber nicht auf den ersten Seiten, das ist dir doch klar, oder?«
»Klar. Meinetwegen im Wirtschaftsteil, aber bitte morgen. Vielleicht rettest du mir damit das Leben.«
»Okay.« Er wirkte nachdenklich. »Du warst es nicht?«
»Nein. Die haben mich reingelegt. Du kannst es nachlesen. Ich muss los.«
Ich nahm das Notebook.
Bevor ich aus der Tür ging, drehte ich mich noch einmal zu ihm um. Er steckte den Stick an seinen Rechner. »Du wirst es drucken? Und nicht der Polizei geben?«
Er sah mir fest in die Augen. »Wenn der Artikel die von dir gewohnte Qualität aufweist, ja. Und wenn er wirklich so brisant ist.«
»Ist er.«
»Dann wirst du ihn morgen früh lesen können.«
»Gut.« Und ich glaubte ihm. Er wirkte sicher und vertrauenswürdig. Ich konnte mich auf ihn verlassen. Damit hatte ich ihm schon fast verziehen, dass er mich gerade verraten hatte. Doch jetzt musste ich unbedingt das Gebäude verlassen, es wurde höchste Zeit.
Es war jetzt egal, ob mich jemand erkannte oder nicht – deshalb ging ich ohne Kapuze durch die Redaktion. Kaum hatte ich die Räume verlassen, begann ich zu rennen und eilte die Treppe hinunter. Es war verdächtig still da draußen, die Polizei hatte sicherlich das Martinshorn ausgeschaltet, um mich nicht zu warnen. Das Gebäude besaß keinen Hinterausgang, das wusste ich. Also setzte ich die Kapuze wieder auf, grüßte den Pförtner und trat selbstbewusst ins Freie. Denn selbst wenn sie mich jetzt kriegen würden – die Hoffnung, dass morgen durch meinen Artikel die Wahrheit ans Licht kommen würde, ließ eine Verhaftung nicht mehr ganz so schlimm erscheinen.
    Als ich auf die Straße trat, kamen sie gerade um die Ecke gebogen. Zwei schwarze Wagen, dahinter drei VW-Busse. Ich mischte mich unter die Passanten, die auf dem Bürgersteig entlang liefen und passte mich ihrem Tempo an. Es war ziemlich voll hier in Tiergarten. Nicht weit entfernt befand sich der Potsdamer Platz, wo sich sowohl Einheimische als auch Touristen tummelten. Sie schlenderten die Straße hinunter, blieben an Schaufensterauslagen kleben, kauften an einem Kiosk ein paar Postkarten und an einem Dönerstand oder einer Currywurstbude etwas zu essen. Keiner interessierte sich für mich, wie schon in der S-Bahn gestern oder eben in der U-Bahn.
Das war das Gute an einer Großstadt wie Berlin. Hier lebten ungefähr vier Millionen Menschen, aber je mehr Leute zusammen kamen, desto weniger Bedeutung hatte man als Individuum. Je mehr Menschen einen sahen, desto weniger fiel man auf. Man wurde von der Masse absorbiert, tauchte in die Anonymität der Bedeutungslosigkeit ein, sobald mehrere der eigenen Art zusammenkamen. In einer Großstadt konzentrierte sich jeder auf das eigene Leben und Überleben, wie alle anderen da draußen. Mehr brauchte man nicht zu wissen, und das war beruhigend. Eine Form von Freiheit, in der keine engen Bande oder Regeln den eigenen Egoismus einengten. Hier tat man, was man wollte und

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