Das sechste Opfer (German Edition)
Entstehung des Romans und über dessen Inhalt und seine Person erzählte. Allerdings waren die Reaktionen der Lektoren am anderen Ende der Leitung alles andere als ermutigend.
»Schicken Sie es uns ein, wir lesen es dann irgendwann, kann aber dauern«, lautete die Standardantwort. Keiner wollte einen Termin mit ihm, niemand fand das Exposé so spannend und vielversprechend, um persönlich mehr über das Buch hören zu wollen. Es war schrecklich.
Langsam wandelte sich das Kribbeln in Dr. Janoschs Körper in eine enttäuschte Leere, die sich wie flüssiges Blei durch seine Adern quälte. Bis er beim Burg-Verlag anrief, einem kleinen Verlag in Berlins Norden, der sich auf Mystery-Geschichten spezialisiert hatte.
Der Lektor, ein Johannes Gerhardt, fand sofort Gefallen an der Geschichte, die Dr. Janosch ihm über das Buch erzählte. Er meinte, dass ein komplizierter Verschwörungsthriller genau das sei, worauf er seit Jahren gewartet habe. Er wollte wissen, wie lang das Buch sei, wer es geschrieben habe und ob das Manuskript noch in dieser Woche hier sein könne. Er wolle keine Zeit verlieren und das Werk sofort veröffentlichen.
Dr. Janosch konnte kaum glauben, was er da hörte, doch es schien die Wirklichkeit. Er hatte am kommenden Tag einen Termin mit Johannes Gerhardt vom Burg-Verlag!
Er war so begeistert, dass er völlig überhörte, wie es in seinem Hörer leise knackte, als er sich vom Lektor verabschiedete.
Die U-Bahn war warm, stickig und übervoll, als Dr. Janosch mit seiner Aktentasche und dem Manuskript am nächsten Morgen Richtung Norden fuhr. Er fuhr nicht gerne in den ehemaligen Ostteil Berlins, aber das lag nicht daran, dass er Vorurteile gegenüber diesen Mitbürgern hegte, sondern an seiner geographischen Unkenntnis der Orte. Vor Jahren, nach dem Fall der Mauer, hatte er alles besichtigt und das DDR-Ambiente auch noch ganz interessant gefunden, aber heute war dieser Teil Berlins für ihn eine fremde Welt. Kaum noch etwas erinnerte an die alten Zeiten unter dem SED-Regime und das Berlin, so wie er es kannte, war es ebenfalls nicht. Es schien ihm eine unbekannte Stadt, in der er sich fremd und verloren fühlte. Es war nicht seine Heimat.
Doch heute musste er hierher, in den Norden Berlins, der ehemals zum Osten gehörte. Auch wenn das alle Geographen verwirrte, so war es doch wahr.
Als die Untergrundbahn für eine Weile oberirdisch fuhr, sah er zum Fenster hinaus und betrachtete den Potsdamer Platz aus der Ferne, von dem er auch nicht so richtig wusste, was er von ihm halten sollte. Er wirkte künstlich, wie ein Schrittmacher mitten ins Herz der Stadt gepflanzt. Touristenmagnet und neues Zentrum, das sich seiner Meinung nach jedoch nicht harmonisch mit dem Gesamten verbunden hatte.
Doch dann ging es wieder hinunter in die Katakomben der U-Bahn. Endlose Röhrensysteme unter der Stadt, die Westen, Osten, Norden, Süden miteinander verknüpften, ohne dass man sich die Mühe machen musste, sich mit der wirklichen Stadt auseinander zu setzen. Hier unten in den U-Bahnhöfen war alles gleich, hier gab es keine neuen, fremden Stadtteile, Menschen mit anderer Vergangenheit oder Denkweise. Hier standen Bänke, Bockwurststände und Kioske, hingen Werbeplakate und Konzerttermine wie überall in der Stadt. Im Untergrund war Berlin wirklich komplett zusammengewachsen.
Dr. Janosch wurde aus seinen Betrachtungen gerissen, als sich ein junger Mann durch die Massen drängelte und sich neben ihn stellte. Es war kein Platz mehr im Waggon, die Passagiere standen eng gedrängt. Manche lasen, andere hörten Musik aus ihren Kopfhörern, aber die meisten starrten zum Fenster hinaus und betrachteten die grauen Wände der unterirdischen Tunnel.
Irgendetwas an dem jungen Mann fiel Dr. Janosch ins Auge. Seine Haltung, sein Blick, sein Auftreten – etwas stimmte daran nicht. Er wirkte selbstsicher und vorsichtig zugleich, draufgängerisch und kalkulierend.
Eigentlich kannte sich Dr. Janosch mit Toten besser aus als mit Lebenden, aber so viel Menschenkenntnis besaß er dennoch, um das beurteilen zu können. An diesem jungen Mann war etwas faul. Vielleicht lag es auch daran, dass Peter Mustermanns Abenteuer ihn wachsam gemacht hatte, also beschloss er, den Kerl unauffällig im Auge zu behalten.
Er sah hin und wieder zum Fenster hinaus, betrachtete dann die Mitreisenden, wobei sein Blick gern in den Ausschnitt einer Frau fiel, die mit einem Buch an die Haltestange angelehnt stand. Dann betrachtete er sein Spiegelbild in den
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