Das sechste Opfer (German Edition)
mich hundsmiserabel, als ich mit meinem Schatz die Straße hinunterlief und das nächste Bekleidungsgeschäft ansteuerte. Aber ich würde ihr alles zurückgeben, sobald ich rehabilitiert war, das nahm ich mir ganz fest vor.
Es handelte sich um einen Jeansladen, und ich nahm mir sofort eine Hose und verschwand in einer Umkleidekabine, um meine Schätze zu zählen. Es war nicht viel, knapp 200 Euro, die drei Fünfziger in dem Umschlag schon mitgerechnet, aber es half mir weiter.
Zuerst kaufte ich ein billiges T-Shirt, das locker um mich wehte und mich dicker erscheinen ließ, als ich war. Dann stöberte ich bei den Jacken und fand eine heruntergesetzte Jeansjacke in meiner Größe, die kräftige Schultern und Oberarme vorgaukelte. Dazu passend kaufte ich eine Hose, die leider nicht ganz so billig war und ein großes Loch in meine Geldvorräte riss. Ich behielt die Sache gleich an, ebenso das karierte Holzfällerhemd, um den Eindruck des kräftigeren Körperbaus noch mehr zu fördern.
Wieder verlagerte ich meine Schätze von einer Hosentasche in die andere, nur dass ich mich dieses Mal sogar von Knopf und Quittung trennte. Nur das Zeichen behielt ich. Den Overall steckte ich in eine Tüte, um ihn später in eine entfernte Mülltonne zu werfen.
Die Verkäuferin schmunzelte, als ich mit den neuen Sachen auf die Straße ging, ich hatte ihr erzählt, dass meine Frau mich rausgeworfen hätte und ich nun bei ihr um Gnade flehen musste. Und das macht man besten nicht in Arbeitssachen.
Nur wenige Schritte weiter befand sich ein kleines Kaufhaus, wo ich mir Blondiercreme für die Haare, eine Sonnenbrille und etwas zu essen kaufte. Damit ging ich im Hotel nebenan auf die Toilette, schloss mich in einer der Kabinen ein und färbte mir im Toilettenbecken meine Haare, wobei ich während der Einwirkzeit drei trockene Brötchen in mich hineinstopfte und einen Eistee nach dem anderen dazu trank, um sie runterzuspülen.
Natürlich war die Polizei nicht blöd, das war mir durchaus bewusst. Die hatten Computerprogramme, mit denen sie das mögliche Aussehen ihrer gesuchten Verbrecher berechnen konnten, aber wenigstens ein bisschen Vorsprung wollte ich durch diese Veränderung herausholen. Die Haare ganz abzurasieren, dazu fehlte mir der Mut, obwohl der blonde Kopfputz, der mir schließlich aus dem Spiegel entgegenleuchtete, nicht unbedingt besser aussah. Aber Eitelkeit war in meiner Situation ein schlechter Ratgeber.
Ich hatte solche Szenen schon in unzähligen Filmen gesehen, dass ich selbst einmal in solch einer Lage stecken würde, hätte ich mir jedoch niemals träumen lassen. Wenn meine ganze Situation nicht so erbärmlich gewesen wäre, hätte ich gerne darüber gelacht, aber das Lachen blieb mir im Halse stecken. Ich war kein Harrison Ford und auf meiner Flucht gab es keinen Tommy Lee Jones, der mir am Ende glaubte und auf meiner Seite kämpfte. Das hier war die Realität. Ich war ganz auf mich gestellt, und der Feind schien wesentlich mächtiger zu sein, als ich mir vorstellen konnte.
Eine halbe Stunde später betrat mit verändertem Aussehen die Straße, warf einen Blick auf den Polizisten an der Ecke, der aufmerksam die Leute musterte, mich jedoch offensichtlich nicht erkannte, ging zur Bushaltestelle, wo ich noch mal mein Geld zählte, und stieg in den nächsten Bus. Mit noch exakt 63 Euro und vierzehn Cent in der Tasche fuhr ich ins Berliner Zentrum.
Mein Ziel war das Strafgericht Moabit, wo ich mich gegenüber dem Haupteingang neben einen Kiosk stellte und darauf wartete, dass Staatsanwalt Wozniak auf der Bildfläche erschien. Er war der einzige Fixpunkt in dem Gewirr von Vermutungen und Spekulationen. Bei ihm war ich mir sicher, dass er zu den Bösen gehörte, nicht nur, weil Franz von ihm erzählt hatte, sondern weil er mir definitiv eine Tatwaffe unterjubeln wollte.
Doch meine Sicht auf den Eingang war nicht sonderlich gut. Immer wieder versperrten die vorüberfahrenden Autos den Blick, und außerdem war ich mir nicht so sicher, ob ich aus dieser Entfernung den Mann, den ich nur ein kurzes Weilchen richtig gesehen hatte, sofort wiedererkennen würde. Noch näher an das imposante Gebäude zu gehen, wagte ich jedoch nicht. Das Haus war riesig, aus hellem Sandstein, mit Verschnörkelungen an den Fenstern und über dem Eingang. Es hatte fünf Stockwerke, und zahllose Menschen gingen hier ein und aus, von denen mit Sicherheit zu viele Staatsanwälte, Polizisten und andere Staatsdiener waren. Neben dem Gebäude befand sich die
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