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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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ihn schon zwei Tage. Fritz zog die Brauen zusammen. »Ja - meinst du? Und ich?« – »Ach, Fritz, es gibt doch Hunderte solcher Jacken.«
     
    Sie trotteten gegen die Schule herauf, der Richtung sicher, trotz Nebel. Kein einzelner Gedanke, ein Sturm von Gedanken flog durch den Kopf des Mannes. Er hätte nicht sagen können, wodurch sich der Junge an seiner Seite von seinen Kameraden unterschied. Er hätte es nicht einmal behaupten können. Und doch war da etwas in Unordnung! Er zweifelte ebensowenig wie Overkamp, daß etwas an dieser Jackengeschichte nicht stimmte. Er dachte an seine eigenen Söhne. Sie gehörten halb ihm, halb dem neuen Staat. Daheim gehörten sie ihm. Daheim gaben sie ihm recht, daß oben – oben im Staat geblieben sei und unten – unten. Doch draußen zogen sie beide die Hemden an, die man ihnen vorschrieb, und schrien Heil, wenn sie sollten. Hatte er alles getan, was in seiner Macht stand, ihren Widerstand anzufachen? Keine Spur! Das hätte ja auch die Auflösung der Familie bedeutet - Zuchthaus – das Opfer seiner Söhne. Da hätte er wählen müssen – da war der Bruch. Nicht nur bei ihm, dem Gültscher, da war der Bruch bei vielen. Aber wie konnte ein Mensch eine solche Entscheidung zu Rande bringen, einen solchen Bruch überspringen? Trotzdem – es gab welche, hier im Land – draußen erst recht. Alle in Spanien, von denen es hieß, sie seien besiegt, und sie waren es offenbar immer noch nicht. Alle hatten sie diesen Sprung hinter sich. Hunderttausende! Vormalige Gültscher! Wenn nun einem der eigenen Söhne die Jacke gestohlen worden wäre, wie hätte er ihn beraten? War es recht, den Fritz zu beraten, fremder Eltern Sohn? Was für eine Entscheidung, was für eine Welt! Er sagte: »Sicher sind all die vielen Jacken von der Fabrik aus gleich geliefert. Da braucht die Gestapo nur anzutelefonieren. Die Reißverschlüsse sind alle gleich aufs Millimeter. Die Taschen alle gleich. Aber wenn dir zum Beispiel ein Schlüssel oder ein Bleistift ein Loch ins Futter gebohrt hat, das kann dir die Gestapo auch nicht nachweisen, das ist der Unterschied, auf den versteifst du dich.«
     
     
     

3
     
    Füllgrabe war in Westhofen in der Nacht fünfmal zur Vernehmung geweckt worden, immer gerade dann, wenn er vor Erschöpfung einschlief. Da er durch seine Rückkehr bewiesen hatte, was die Triebfeder seiner Handlung war, reine Furcht, war auch das Mittel gegeben, womit man ihn kurierte, wenn er etwa noch starr blieb. Endlich erwischte Overkamp ein saftiges Stück von dem Heisler selbst, nachdem er nur auf fragwürdige Spuren gestoßen war und mutmaßliche Kleidungsstücke. Füllgrabe sträubte sich zwar auch noch beim fünften Verhör, als die Rede auf ihre Begegnung kam, obgleich er sie selbst verraten hatte, als man ihn mit handfesten Drohungen zwang, seine Flucht Stunde für Stunde zu belegen. Er zuckte und ruckte auf seinem Stuhl. Plötzlich schien etwas die Maschinerie des Verhörs zu hemmen, die bisher so glatt gelaufen war. Irgendein unnützer Stoff schien plötzlich der Furcht beigemischt, die alle Teilchen seines Gehirns geölt hatte. Aber Fischer brauchte nur den Hörer abzunehmen, Zillich hineinzurufen, der bloße Name wirkte als Scheidemittel. Das Gefühl der Furcht sonderte sich von Nebengefühlen. Es sonderte sich die Vorstellung eines qualvollen Todes von dem nackten Leben. Es sonderte sich der gegenwärtige Füllgrabe, grau und zitternd, von einem längst vergessenen, der noch Anfälle von Mut gekannt hatte, Ansteckungen von Hoffnung. Flausen sonderten sich von dem reinen Protokoll.
     
    »Donnerstag mittag, kurz vor zwölf, bin ich dem Georg Heisler am Eschenheimer Turm begegnet. Er hat mich zu der Bank in der Anlage geführt, am ersten Weg links ab vor dem großen Asternrondell. Ich hab ihm zugeredet, sich mit mir zu melden. Davon hat er nichts hören wollen. Er hat einen gelben Mantel angehabt, einen steifen Hut, Schnürhalbschuhe, nicht neu, nicht kaputt. Ich weiß das nicht, ob er Geld gehabt hat. Ich weiß nicht, warum er in der Eschenheimer Anlage war. Ich weiß nicht, ob er auf jemand gewartet hat. Auf der Bank ist er sitzen geblieben. Ich glaube jetzt, daß er dort jemand erwartet hat, weil er mich selbst zu der Bank geführt hat und weil er dort sitzen geblieben ist. Ja, ich habe mich nochmals rumgedreht, er ist sitzen geblieben.«
     
    Dieser Aussage waren die Anweisungen an die städtischen Stellen schon gefolgt, als Paul Röder am frühen Morgen seine Wohnung verließ.

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