Das siebte Tor
von etwas gehört hast, das man das… das Siebte Tor nennt?«
»Gewiß«, antwortete Baltasar ruhig, aber mit
einem stechenden Blick aus seinen schwarzen Augen, der Alfred durchbohrte wie
ein Dolch. »Jeder auf Abarrach weiß von dem Siebten Tor. Schon Kinder leinen
die Litanei.«
»Was für eine Litanei ist das?«
»Die Erde wurde zerstört«, rezitierte Baltasar
mit dünner, hoher Stimme. »Aus den Trümmern wurden vier Welten erschaffen: Luft,
Feuer, Stein, Wasser. Vier Tore verbinden die Welten untereinander: Arianus mit
Pryan mit Abarrach mit Chelestra. Ein Ort der Läuterung für unsere Feinde
wurde errichtet: das Labyrinth. Das Labyrinth ist durch das Fünfte Tor mit den
anderen Welten verbunden: den Nexus. Das sechste Tor ist der Mittelpunkt,
gewährt Zutritt: der Vortex. All das wurde bewirkt mittels des Siebten Tores.
Aus dem Ende ein neuer Beginn.«
»Daher wußtest du also von dem Todestor und von
den anderen Welten«, sagte Alfred. Er dachte an sein erstes Zusammentreffen mit
Baltasar, wie der Nekromant die Lügen durchschaut hatte, mit denen Haplo ihn
über seine wahre Identität zu täuschen versuchte. »Und du sagst, das lernen die
Kinder?«
»Früher.« Ein bitterer Zug kerbte sich um Baltasars
Mundwinkel. »Als wir -Muße hatten, unsere Kinder andere Dinge zu lehren als
nur, wie man stirbt.«
»Wie ist dein Volk in diese Lage geraten?« Marit
mußte sich anstrengen, die Augen offenzuhalten. »Was ist schuld an diesem
Elend?«
»Gier«, antwortete Baltasar. »Gier und
Verzweiflung. Als die Magie, die unsere Welt erhielt, immer mehr abnahm,
begann das Sterben. Wir besannen uns auf die Nekromantie, anfangs, um die nicht
hergeben zu müssen, die uns teuer waren. Dann, im Lauf der Zeit, benutzten
wir diese schwarze Kunst, um Verluste auszugleichen, um Soldaten für unsere
Armeen zu haben und Diener für unsere Häuser. Aber die Dinge wurden schlechter
statt besser.«
»Das Konzept der vier Welten sah vor, daß sie zu
ihrer Erhaltung aufeinander angewiesen waren«, erläuterte Alfred. »Kondukte,
auf dieser Welt als Kolosse bekannt, sollten Energie aus den Zitadellen Pryans
nach Abarrach leiten. Das hätte dieser Welt Licht und Wärme gebracht und der
Bevölkerung ermöglicht, dicht unter der Oberfläche zu siedeln, wo die Luft
atembar ist. Der Plan schlug fehl. Als das Allüberall seine Aufgabe nicht mehr
erfüllte, erlosch das Licht in Pryans Zitadellen, und Abarrach versank in
Dunkelheit.«
Er verstummte. Sein Vortrag zeigte Wirkung.
Marits Augen waren geschlossen, und sie atmete tief und gleichmäßig. Alfred
lächelte fein und zog ihr die Decke über die Schultern, dann stahl er sich auf
Zehenspitzen davon. Baltasar warf noch einen Blick auf Marit und folgte ihm.
»Aus welchem Grund hast du nach dem Siebten Tor gefragt?«
Wieder fühlte Alfred sich von einem stechenden
Blick durchbohrt und fing sofort an zu stottern.
»Ich… ich… neugierig… irgendwo etwas gehört…«
Baltasar runzelte die Stirn. »Was versuchst du
in Erfahrung zu bringen? Den Ort? Glaub mir, wenn ich wüßte, wo sich das
Siebte Tor befindet, hätte ich nicht gezögert, auf diesem Weg mein Volk in die
Freiheit zu führen.«
»Ja, natürlich.«
»Wenn nicht das, was wolltest du dann wissen?«
»Gar nichts, überhaupt nichts. Reine Neugier.
Jetzt sollten wir uns um die Lebensmittel kümmern.«
Der Nekromant erhob keine Einwände, aber Alfred
wußte, daß er durch seine Frage bei Baltasar Verdacht erregt hatte. Und der
Nekromant hatte in einer Hinsicht Ähnlichkeit mit Haplos Hund. Was er erst
zwischen den Zähnen hatte, ließ er so ohne weiteres nicht wieder los.
Alfred machte sich daran, Säcke mit
Kairngrassamen zu replizieren 7 ,
in solcher Menge, daß die Sartan die Körner mahlen und daraus Fladenbrot backen
konnten – sehr viel nahrhafter und wertvoller als die Wassergrütze. Während er
die Beschwörungen murmelte, schaute er sich in der Höhle um. Keine toten Sartan
bedienten die lebenden, wie es bei seinem letzten Besuch der Fall gewesen
war. Keine Wiedergänger als Soldaten bewachten den Eingang, kein untoter König
versuchte zu regieren. Wo immer die Toten ruhten, sie ruhten in Frieden – wie
Baltasar es ihm versichert hatte.
Alfred sah die Kinder an, die ihn umdrängten und
um eine Handvoll von dem Grassamen bettelten, mit dem er auf Arianus die Vögel
gefüttert hätte.
Seine Augen füllten sich mit Tränen, und das
erinnerte ihn an die Frage,
Weitere Kostenlose Bücher