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Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Das Siegel der Finsternis - Algarad 1

Titel: Das Siegel der Finsternis - Algarad 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Reichard
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Doch sosehr er sich auch bemühte, ihre Worte ins Gedächtnis zu rufen, es blieb nur der Nachhall einer sehnsuchtsvollen Erinnerung.
    Sie verließen den Tempelhain zügig, denn die Sonne stand schon am Himmel. Wie leichtsinnig von ihnen, dass sie keine Nachtwache bestimmt hatten! Sie hatten verschlafen und wertvolle Zeit verloren. Immerhin war nichts passiert, und zumindest Urisk konnte seinen Weg frisch und ausgeruht fortsetzen. Tenan nahm sich vor, beim nächsten Mal vorsichtiger zu sein.
    Sie kamen auch am zweiten Tag ihrer Reise gut voran. Bald hatten sie die ausgedehnten Ruinen Armaras hinter sich gelassen. Die Landschaft wandelte ihr Aussehen: Statt der Hügel durchquerten sie vermehrt Gebiete mit kleinen Baumgruppen und dichtem Buschwerk, das manchmal sogar über die Straße wuchs. Es war offensichtlich, dass ihr Weg nur selten benutzt wurde. Die Bauern und Dörfler dieser Gegend im Norden konnten sich weitgehend autark versorgen und pflegten wenig Handel mit anderen Städten. Weiter südlich lag die eigentliche Handelsroute, die in der Mitte der Insel verlief und die Häfen Dorlin und Lagath miteinander verband.
    Tenan schwieg die meiste Zeit, während Urisk wie am Tag zuvor unentwegt vor sich hin plapperte. Tenan dachte über den Traum der letzten Nacht nach, der ihn immer noch beschäftigte. Osyn hatte ihn gelehrt, dass Träume zuweilen eine Botschaft in sich trugen, die man nicht ignorieren durfte. Das Bild der geisterhaften Frau ging ihm nicht aus dem Kopf. Sie hatte das dhorin erwähnt, das Innere seines Wesens. Wiederholt fragte er sich, was es damit auf sich haben konnte. Er hatteden Ausdruck nur selten von Osyn gehört und wusste nicht genau, was er bedeutete. Doch allein der Klang des Wortes erfüllte ihn mit Neugier und dem Wunsch, seine wahre Bedeutung näher zu ergründen.
    Es war schon später Nachmittag, als sie den Saum eines Waldes erreichten, der aus hohen, schlanken Buchen bestand. Der Weg führte direkt unter das schattige Blätterdach.
    »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das der Wald von Gon oder einer seiner letzten Ausläufer, kurz vor Dorlin«, meinte Tenan. »Es dürfte nicht mehr weit sein, vielleicht noch zwei oder drei Meilen.«
    Spärlich schimmerte das Dämmerlicht durch die Zweige. Die Blätter dämpften federnd ihre Schritte. Die Luft roch würzig und ein wenig modrig, und es wurde merklich kühler. Die Bäume standen nicht allzu dicht, aber sie waren in tiefe Schatten getaucht, und nur wenige dünne Sonnenstrahlen durchbrachen das dichte Blätterdach. Kein Vogel ließ sich vernehmen, kein Eichhörnchen schwatzte. Und doch war der Wald von einer kaum hörbaren, seufzenden Unrast erfüllt. Tenan schlang die Arme um sich, weil ihm kalt war. Er beschleunigte seinen Schritt, und Urisk hechelte hinter ihm her. Diesmal machten sie (sehr zu Urisks Verdruss) keine Rast und verschlangen ihren restlichen Proviant, während sie liefen. Die dumpfe Kühle ließ sie frösteln.
    Urisk wurde unruhiger, je tiefer sie in den Wald gelangten. Seit sie ihn betreten hatten, war auch sein Redefluss versiegt. Wortlos trottete er neben Tenan einher. Er schaute öfters über die Schulter und schnupperte in die Luft, als witterte er etwas.
    »Was ist los?«, wollte Tenan schließlich wissen.
    Urisk hob die Hand und bedeutete ihm, still zu sein. Er lauschte angestrengt. Schließlich schüttelte er das zottigeHaupt. »Man kann nichts Genaues sagen«, flüsterte er. »Aber etwas Fremdes ist in den Büschen.«
    Mit einem unguten Gefühl im Nacken liefen sie weiter. Urisks Gesicht spiegelte Tenans eigene Unruhe wider. Meister Osyn vertraute auf die feinen Sinne des Fairin und auf seine Begabung, Gefahr frühzeitig zu wittern, und Tenan sah keinen Grund, daran zu zweifeln. Besser, sie waren zu vorsichtig, als dass sie ein Risiko eingingen.
    Sie waren noch nicht viel weiter gekommen, als Tenan selbst das Gefühl hatte, dass sie beobachtet wurden. Doch der Wald war ruhig. Zu ruhig. Schaudernd dachte er an die Späher und Bogenschützen der Armee Achests. Waren sie womöglich schon so weit vorgedrungen? Er hielt das für höchst unwahrscheinlich.
    Tenan konnte nicht einschätzen, wie weit die schützenden Mauern Dorlins tatsächlich noch entfernt waren, und so trieb er Urisk zur Eile an. »Wir müssen den Hafen noch vor Einbruch der Dämmerung erreichen.«
    »Vielleicht besser zurück?«, fragte der Fairin ängstlich.
    »Du meinst, wir sollen den Wald umgehen?« Tenan schüttelte den Kopf. »Das würde zu viel

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