Das Sigma-Protokoll
es ein kleiner Fortschritt. Der andere Angestellte hatte noch rundweg abgestritten, dass überhaupt ein Paket für sie gekommen sei.
»Was soll das heißen? Dass Sie es verschlampt haben?«
Nervös zuckte der Mann mit den Schultern. »Laut unserem Computer ist es gestern, aus Washington, D. C., kommend, hier eingegangen. Was dann damit passiert ist, kann ich nicht sagen. Wenn Sie dieses Formular ausfüllen würden, dann können wir sofort mit den Nachforschungen beginnen. Falls es unauffindbar bleiben sollte, werden wir Ihnen den Wert natürlich vollständig erstatten.«
Verdammt! Sie hatte das ungute Gefühl, dass das Päckchen
nicht verloren gegangen war, sondern dass man es gestohlen hatte. Aber wer hatte es gestohlen? Und warum? Wer konnte über den Inhalt Bescheid wissen? Hatte Denneen sie fallen gelassen? Das konnte sie nicht glauben. Vielleicht hatte man heimlich sein Telefon angezapft. Es gab zahllose mögliche Erklärungen, die aber alle an einer Tatsache nichts änderten: Falls man das Päckchen gestohlen hatte, dann wusste der Täter, wer sie war und warum sie hier war.
Das Büro von Interpol Argentinien befand sich im Präsidium der Policía Federal Argentina in der Calle Suipacha. Interpols Jefe Seccion Operaciónes in Buenos Aires hieß Miguel Antonio Peralta. Auf dem Türschild stand Subcomisario Departamento Interpol. Er war ein stämmiger Mann mit einem großen runden Kopf und einem Rundrücken. Die wenigen schwarzen Haarsträhnen, die auf seinem kahlen Schädel klebten, brachte seine Glatze erst richtig zur Geltung.
Das holzgetäfelte Büro war voll gestopft mit Würdigungen seiner Arbeit für Interpol. Die Wände waren mit Tafeln und Erinnerungsplaketten von dankbaren Polizeieinheiten aus der ganzen Welt bepflastert. Dazwischen hingen Kruzifixe, Urkunden und Heiligenbilder. Besonders ins Auge fielen eine gerahmte Segnung seiner Familie durch den Papst höchstpersönlich und eine sepiafarbene Fotografie in antikem Silberrahmen, auf der sein Vater in Polizeiuniform zu sehen war.
Peraltas Eidechsenaugen lauerten scheinbar schläfrig hinter den Gläsern der runden Schildpattbrille. Ein Halfter samt Pistole lag auf der glänzenden leeren Tischplatte. Das Halfterleder schien zwar alt, war jedoch liebevoll gepflegt. Peralta war freundlich und von untadeliger Höflichkeit. »Wir sind natürlich immer bemüht, der Sache der Gerechtigkeit zu dienen«, sagte er.
»Wie Ihnen meine Assistentin schon dargelegt hat, stehen wir bei CBS gerade jetzt im knallharten Wettbewerb«, erklärte Anna. »Anscheinend werden die Leute von Dateline diesen Mann in Kürze aufspüren und der Öffentlichkeit präsentieren. Sollten sie die ersten sein, okay. Aber ich hätte keine Karriere gemacht, wenn ich immer klein beigegeben hätte. Der argentinische Produzent, mit dem ich hier zusammenarbeite, meint, dass wir uns die Story
als Erste schnappen könnten, falls es uns gelingen würde, Sie zur Mithilfe zu bewegen.«
»Der Nationalsport in Argentinien ist Fußball. Bei Ihnen scheint das der Kampf der privaten TV-Sender zu sein.«
»Könnte man so sagen.« Anna bedachte ihn mit einem breiten Lächeln und schlug die Beine übereinander. »Ich mache meinen Kollegen von Dateline gar keinen Vorwurf. Sie tun ihre Arbeit. Aber wir wissen doch beide, dass der Tenor ihrer Story die ewig alte Leier sein wird. Das ach so hinterwäldlerische Argentinien, wo man als Krimineller so herrlich untertauchen kann. Sie können sich drauf verlassen: Die schlachten das auf die ganz billige Tour aus. Und genau das wollen wir nicht. Wir wollen die Sache anspruchsvoll und gewissenhaft angehen. Wir wollen unseren Zuschauern das neue Argentinien zeigen. Ein Land mit Menschen, die sich wie Sie für die Gerechtigkeit engagieren. Ein Land mit moderner Rechtsprechung und Achtung vor den Werten der Demokratie.« Wieder lächelte sie ihn an. »Selbstverständlich wären wir bereit, Ihre Bemühungen angemessen zu vergüten. Was sagen Sie dazu, Mr. Peralta?«
Peralta lächelte dünn. »Wenn Sie beweisen können, dass Josef Strasser in Buenos Aires lebt, brauchen Sie mir die Beweise nur vorzulegen.« Er breitete andeutungsweise beide Arme aus. »So einfach ist das.«
»Einer macht die Story, Mr. Peralta. Entweder wir oder die Konkurrenz.« Annas Lächeln war nicht mehr ganz so strahlend. »Es geht nur um das Wie. Wird es eine Geschichte über einen Ihrer Erfolge oder über eine Ihrer Niederlagen. Wollen Sie mir etwa erzählen, Sie haben nie einen Hinweis
Weitere Kostenlose Bücher