Das silberne Zeichen (German Edition)
Bettler am Wegesrand hielten ihre Hände auf, und zwei noch reichlich junge Mädchen, die die roten Kopftücher der Hübschlerinnen trugen, winkten ihm kichernd zu. Da er sie nicht weiter beachtete, wandten sie sich jedoch sogleich dem nächsten Vorbeikommenden zu.
In gemächlicher Geschwindigkeit ritt Christoph die Straße entlang, bog schließlich nach rechts in den Cymmergraben ein. Überall herrschte die übliche Geschäftigkeit des frühen Nachmittags: Handwerker gingen ihren Verrichtungen nach, Knechte luden die Fracht von Ochsenfuhrwerken ab, Mägde eilten mit Körben oder Eimern hin und her. Ein Schwein suhlte sich laut grunzend mitten auf der Abzweigung zur Wirichbongartsgasse im Schlamm.
Gerade überlegte er, ob er den Weg über den Marktplatz oder doch lieber rechtsherum über die Seitengassen nehmen sollte, als aus der St. Ailbretstraße laute Rufe und das schrille Bimmeln einer Warnglocke ertönten.
«Feuer!», schrie jemand. «Zu Hilfe, es brennt!»
Binnen weniger Augenblicke rannten die Menschen aus Häusern und Nebengassen zusammen und eilten die St. Ailbretstraße hinauf. Christoph hatte Mühe, sein Pferd und das Lasttier im Zaum zu halten, denn sie wurden immer wieder angerempelt. Schließlich lenkte er die Tiere ebenfalls in Richtung des Unglücksortes, kam jedoch nicht weit und musste absteigen. Inzwischen rannten Männer mit Eimern und Kübeln an ihm vorbei.
«Was ist da passiert?», wollte er von einem Knecht wissen, der sich gerade mit Ellbogengewalt durch die voranstrebende Menschenmenge gewühlt hatte. «Die Schmiede brennt», rief der Knecht erregt. «Ich muss Hilfe holen, einer der Gesellen ist verletzt.» Schon eilte er weiter.
«Schmiede?», rief Christoph ihm nach. «Welche Schmiede?»
«Die Silberschmiede des Meisters van Lyntzenich!», antwortete neben ihm eine kratzige Stimme.
Christoph fuhr überrascht herum und stutzte, als er das kleine, verhutzelte Männchen mit dem schlohweißen Bart erblickte. Gerade noch rechtzeitig besann er sich und setzte eine gleichmütige Miene auf.
Der Alte musterte ihn eingehend, dann grinste er breit. «Ihr seid der Schreinemaker. Der Daus, die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend.»
«Wie bitte?»
«Amalrich ist mein Name … falls Ihr Euch nicht erinnern solltet.» Der Alte zwinkerte ihm zu. «Wie ich vernahm, seid Ihr der Bruder des geschätzten Ablasskrämers Christophorus. Sagt, wie geht es ihm denn? Zieht er noch immer in der Welt umher? Wird er bei Eurer Hochzeit anwesend sein?»
Christoph schluckte und räusperte sich verlegen. «Bruder Christophorus wird in nächster Zeit nicht nach Aachen zurückkehren», sagt er möglichst unbeteiligt. «Er hat sich auf eine weite Pilgerreise begeben.»
«Ah ja?» Amalrich kicherte. «Wohl denn, hoffen wir, dass sie seinem Seelenheil förderlich sein wird. Ihr seid sein Zwillingsbruder?»
«So ist es.»
Amalrich kicherte erneut. «Wie ein Ei dem anderen. Wirklich erstaunlich. Ich hoffe, Ihr wisst, worauf Ihr Euch da eingelassen habt. Doch nun voran, lasst uns sehen, ob wir nicht helfen können.» Er deutete voraus auf ein zweistöckiges Gebäude, aus dessen Fenstern dicke Rauchschwaden quollen. Mehrere Männer waren dabei, Wasser in Eimern zum Haus zu tragen. Durch den Rauch war das Knistern und Prasseln des Feuers zu vernehmen, dann immer wieder Schreie und das hysterische Plärren eines Kleinkindes.
Gerade kamen zwei Knechte durch die Haustür, zwischen sich eine junge Frau, die ganz benommen zu sein schien. Christoph drückte Amalrich die Zügel seines Pferdes in die Hand, trat auf die Frau zu und stützte sie. In einiger Entfernung vom Haus ließ er sie vorsichtig zu Boden gleiten. Sie hustete und rang verzweifelt nach Atem. Sogleich kam eine Magd mit einer Trinkflasche herbeigeeilt, doch die junge Frau wehrte ab. «Nicht, ich will nicht. Mein Sohn.» Wieder hustete sie heftig. «Er ist noch drin! O Gott, ich kann ihn nicht mehr hören! Peter!» Keuchend rang sie nach Luft und wollte aufstehen. Christoph hielt sie energisch zurück. «Bleibt hier, gute Frau. Da könnt Ihr nicht wieder hinein.»
«Aber mein Kind!», protestierte sie.
Er winkte einen kräftigen Knecht herbei. «Halt sie fest», befahl er, zog schnell den Stoff seiner Gugel vor Mund und Nase und ging auf den Hauseingang zu. Der Rauch hatte ein wenig nachgelassen, doch noch immer kämpften die Helfer verbissen gegen die gefährlich züngelnden Flammen.
Plötzlich kam ein Mann mit rußgeschwärztem Gesicht aus dem Haus
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