Das Silmarillion
fürwahr, doch wenn unser Wort nicht genügt, so wollen wir dir einen Eid schwören.« Und die Brüder schworen, niemals Turgons Pläne zu verraten und über alles, was sie in seinem Reiche gesehen, zu schweigen. Dann nahmen sie Abschied, und die Adler kamen und trugen sie fort bei Nacht und setzten sie vor Morgen in Dor-lómin nieder. Ihre Sippe war froh, sie wiederzusehen, denn Boten aus Brethil hatten berichtet, dass sie verschwunden waren; doch nicht einmal ihrem Vater mochten sie erklären, wo sie gewesen waren, nur dass die Adler sie aus der Wildnis gerettet und heimgebracht hätten. Doch Galdor sagte: »Habt ihr wohl ein Jahr in der Wildnis gehaust? Oder haben euch die Adler in ihren Horsten beherbergt? Aber ihr habt Nahrung und feine Kleider gefunden und kehrt heim wie junge Prinzen, nicht wie Waldläufer.« Und Húrin antwortete: »Sei zufrieden, dass wir heimgekehrt sind, denn nur unter einem Eid, zu schweigen, wurde es uns erlaubt.« Nun fragte Galdor nicht weiter, doch er und viele andere errieten die Wahrheit, und nicht lange, so war Húrins und Huors merkwürdiges Schicksal auch den Dienern Morgoths zu Ohren gekommen.
Als nun Turgon erfuhr, dass die Belagerung von Angband gebrochen war, ließ er nicht zu, dass Leute aus seinem Volk in den Krieg hinauszogen, denn er glaubte, dass Gondolin stark und die Zeit noch nicht reif sei, es zu offenbaren. Doch glaubte er auch, dass mit dem Ende der Belagerungder Sturz der Noldor beginne, wenn keine Hilfe käme; und insgeheim schickte er Gesandtschaften der Gondolindrim zu den Mündungen des Sirion und auf die Insel Balar. Dort bauten sie Schiffe und setzten Segel und fuhren in Turgons Auftrag in den äußersten Westen, Valinor suchend, um Vergebung und Hilfe von den Valar zu erbitten; und sie flehten die Vögel des Meeres an, ihnen den Weg zu zeigen. Doch die Meere waren weit und wild, und Schatten und Zauberwerk lagen auf ihnen, und Valinor blieb verborgen. So gelangte keiner von Turgons Boten in den Westen, viele gingen verloren, und wenige kehrten wieder; das Schicksal Gondolins aber rückte näher.
Gerüchte von diesen Dingen kamen zu Morgoth, und er hatte keine Ruhe, mitten in seinen Siegen; dringend wünschte er, Meldung über Felagund und Turgon zu erhalten. Denn aus seinen Nachrichten waren sie verschwunden und waren doch nicht tot; und er machte sich Sorgen, was sie gegen ihn unternehmen möchten. Von Nargothrond wusste er immerhin den Namen, doch weder wo es lag, noch wie stark es war; von Gondolin aber wusste er überhaupt nichts, und der Gedanke an Turgon quälte ihn umso mehr. Daher schickte er immer mehr Späher nach Beleriand aus; doch das Hauptheer der Orks rief er nach Angband zurück, denn er erkannte, dass er noch nicht die letzte siegreiche Schlacht liefern konnte, ehe er nicht neue Kräfte gesammelt, und dass er die Tapferkeit der Noldor und die Waffengewalt der Menschen, die an ihrer Seite kämpften, nicht richtig ermessen hatte. So groß seine Siege in der Schlacht des Bragollach und in den Jahren darauf auch gewesen waren und so schwer auch die Schäden, die er seinen Feinden zugefügt hatte, so waren seine eigenen Verluste doch nicht geringer; und obgleich er weiterhin Dorthonion und den Sirion-Pass besetzthielt, begannen nun die Eldar, sich vom ersten Schrecken erholend, das Verlorene zurückzugewinnen. So erlebte Beleriand im Süden noch einmal einige kurze Jahre scheinbaren Friedens; doch die Schmieden von Angband waren geschäftig.
Als seit der Vierten Schlacht sieben Jahre vergangen waren, griff Morgoth von neuem an und schickte eine große Streitmacht gegen Hithlum aus. Heftig war der Ansturm auf die Pässe über das Schattengebirge, und bei der Belagerung von Eithel Sirion wurde Galdor der Lange, Herr von Dor-lómin, von einem Pfeil getötet. Diese Festung verteidigte er für Fingon, den Hohen König, und am selben Orte war sein Vater Hador Lórindol gefallen, wenige Jahre zuvor. Húrin, sein Sohn, war zu der Zeit eben erst zum Manne erwachsen, doch war er von großer Kraft an Geist wie Körper; und er vertrieb die Orks mit schweren Verlusten aus den Ered Wethrin und verfolgte sie weit über die Sandwüste von Anfauglith.
König Fingon aber hatte große Mühe, das Heer Angbands, das von Norden kam, aufzuhalten, und zur Schlacht stellte er sich erst auf den Ebenen von Hithlum. Dort war Fingon in Gefahr, von der Übermacht erdrückt zu werden, doch Círdans Schiffe kamen in großer Zahl den Fjord von Drengist heraufgefahren, und
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