Das Silmarillion
zweites Mal, und Beren sprang vor Lúthien, und der Pfeil traf ihn in die Brust.
Es heißt, Huan habe Feanors Söhne verfolgt, und sie flohen voller Furcht; und als er zurückkam, brachte er Lúthien ein Kraut aus dem Walde. Damit stillte sie Berens Wunde, und so, mit Kunst und Liebe, heilte sie ihn; und bald kamen sie wieder nach Doriath. Dort erhob sich Beren eines Morgens vor Sonnenaufgang, unschlüssig zwischen seinem Eid und seiner Liebe; doch da er Lúthien nun in Sicherheit wusste, überließ er sie Huans Obhut und schied in tiefem Kummer, während sie noch im Grase schlief.
Nach Norden ritt er wieder, so schnell er konnte, durch den Pass des Sirion, und als er an den Rand von Taur-nu-Fuin kam, blickte er über die Öde von Anfauglith und sah in der Ferne die Gipfel von Thangorodrim. Dort trennte er sich von Curufins Pferd und hieß es, nun aller Furcht und allen Dienstes ledig, frei durch das grüne Gras in den Landen am Sirion zu streifen. Als er nun allein war und an der Schwelle des letzten Wagnisses, machte er das Lied vom Abschied, Lúthien und den Himmelslichtern zu Ehren, denn er glaubte, nun der Liebe wie dem Licht Lebewohl sagen zu müssen. Ein Teil jenes Liedes waren diese Worte:
Leb wohl, lieb Land, Nordhimmelstag,
von Glück beglänzt, seit sie hier lag
und hier mit leichten Gliedern lief
im Sonnenlicht, durch Mondflut tief,
Lúthien Tinúviel
– kein Wort strahlt je wie sie so hell.
Mag auch zerfallen einst die Welt,
zurückgeschleudert und zerschellt
im uralt finstren Unheilsschlund,
gut wär das Werk, der Schöpfung Grund
– Dämmerung, Frühe, Meer und Land –,
weil Lúthien hier erschien und schwand.
Und er sang laut, unbesorgt, wer ihn hören mochte, den er war verzweifelt und sann nicht auf Flucht.
Doch Lúthien hörte sein Lied, und sie sang zur Antwort, als sie unverhofft durch die Wälder kam. Denn Huan hatte erneut eingewilligt, ihr als Reittier zu dienen, und hatte sie schnell auf Berens Fährte dahingetragen. Lange war er mit sich zu Rate gegangen, wie er die Gefahr dieser beiden, die er liebte, erleichtern könnte. Daher machte er an Saurons Insel halt und nahm den scheußlichen Wolfspelz von Draugluin und das Fledermausfell von Thuringwethil an sich. Diese war eine Botin Saurons, und sie pflegte in Vampirgestalt nach Angband zu fliegen, und ihre großen gefächerten Flügel trugen am Ende jedes Gliedes eine große Eisenklaue. In diesen Schreckensgewändern rannten Huan und Lúthien durch Taur-nu-Fuin, und alles floh vor ihnen.
Beren, als er sie kommen sah, war erschrocken; und er wunderte sich, denn er hatte Tinúviels Stimme gehört, und nun glaubte er, es sei ein Trugstück, um ihn zu fangen. Doch sie hielten und warfen ihre Verkleidung ab, und Lúthien rannte auf ihn zu. So trafen Beren und Lúthien sich wieder, zwischen Wüste und Wald. Eine Weile war er still und freute sich, dann aber bemühte er sich von neuem, Lúthien von dieser Fahrt abzubringen.
»Dreimal verflucht sei nun mein Eid gegen Thingol«, sagte er, »und eher wollte ich, er hätte mich in Menegroth erschlagen, als dass ich dich in den Schatten Morgoths führe.«
Da sprach Huan zum zweiten Male mit Worten, und er gab Beren Rat und sagte: »Vor dem Schatten des Todes kannst du Lúthien nicht länger bewahren, denn aufgrund ihrer Liebe unterliegt sie ihm schon. Du kannst dich von deinem Geschick abwenden und mit ihr fortziehen, vergebens Frieden suchend, solange du lebst. Wenn du aber nicht verleugnest, was dir beschieden ist, dann muss entweder Lúthien, von dir verlassen, mit Gewissheit allein sterben oder aber sie muss mit dir dem Schicksal trotzen, das vor euch liegt – hoffnungslos, doch ungewiss. Weiteren Rat kann ich nicht geben, noch kann ich weiter mit euch gehen. Aber mein Herz sagt mir, dass auch ich sehen werde, was ihr am Tore findet. Alles Übrige ist mir dunkel; doch kann es sein, dass unsere Pfade uns alle drei wieder nach Doriath führen, und dort sehen wir uns vielleicht noch vor dem Ende.«
Da erkannte Beren, dass er Lúthien nicht von dem Schicksal fernhalten konnte, das auf ihnen beiden lag, und er versuchte nicht länger, ihr abzuraten. Nach Huans Plan und mit Lúthiens Künsten wurde er nun in den Pelz von Draugluin gesteckt und sie in das geflügelte Fell von Thuringwethil. Beren sah nun in allem einem Werwolf gleich, nur dass aus seinen Augen ein zwar grimmiger, doch reiner Geist leuchtete; und Schrecken war in seinem Blick, als er neben sich ein
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