Das Skript
schmutzigen Oberlichter hereinfiel, war auch hier hell genug, um zu erkennen, was vor ihm lag. Verrückterweise musste Erdmann in dieser Situation daran denken, dass Matthiessen gerade Stohrmanns Geschwätz ad absurdum geführt hatte. Von wegen
vor Angst erstarrt
.
Irgendwo vor sich hörte er Schritte. Der Gang knickte nach rechts ab, noch immer an der Außenmauer entlang. Hier wurde das Laufen wieder schwieriger. Nach etwa zehn Metern führte auf der rechten Seite eine Treppe nach oben. Sie war um einiges breiter als die, über die sie in den Keller gekommen waren. Ohne groß nachzudenken, nahm er sie und hetzte die Stufen hoch. Jahn musste versuchen, ins Freie zu kommen, wollte er eine Chance zur Flucht haben.
Erdmann hatte etwa die Mitte der Treppe erreicht, als er von oben lautes Geschrei hörte. Er übersprang jeweils eine Stufe, um schneller voranzukommen. Als er endlich auf dem oberen Absatz angekommen und nur noch wenige Meter von einer türlosen Öffnung entfernt war, die ins Freie führte, fiel ein Schuss. Mit rasendem Puls legte er die letzten Meter zurück, blieb an dem Mauervorsprung stehen und lugte hinaus ins Freie, aber dort war niemand. Er blickte auf das Gelände hinter dem Gebäude. Vorsichtig schob er sich aus der Deckung heraus, um den ganzen Platz einsehen zu können. Er konnte noch immer niemanden entdecken, aber er hörte in der Entfernung Schritte. Auch Stimmen, die etwas riefen, nahm er wahr, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. Mit einem Ruck stieß er sich ab und lief in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Er war vorsichtig und stolperte doch immer wieder, weil er an irgendwelchen Hindernissen hängenblieb oder keinen Halt fand. Er lief um das Gebäude herum, erreichte den Zaun und die Tür darin, hielt einen Moment inne, lauschte und wandte sich dann nach links, weg von dem Weg, den sie gekommen waren. Er dachte an Matthiessen, die er in dem Keller zurückgelassen hatte. Sie war allein dort. Was, wenn sich noch jemand da unten aufhielt? Jahns Komplize? Lüdtke? Lorth? Er schüttelte den Gedanken ab. Die Kollegen hatten Jahn verfolgt, und er war allein gewesen. Wenn er sich aber dort mit – wieder war er mit dem Fuß hängengeblieben. Er ruderte wild mit den Armen, stolperte vorwärts, versuchte, den Oberkörper aufzurichten, um nicht vornüberzukippen, aber es war zu spät. Er verlor das Gleichgewicht und landete bäuchlings zwischen Schutt und Müll auf dem Boden, wo er mit der Brust hart auf einem dicken Stein aufschlug. Der Schmerz nahm ihm den Atem. Einen Moment lang lag er still, wagte es nicht, sich zu bewegen, aus Angst vor der Gewissheit, sich ein paar Rippen gebrochen zu haben. Dann aber dachte er an Matthiessen, die dort hinter ihm in dem Keller saß, und an Jahn. Mit grimmiger Verbissenheit zog er die Beine an, stützte sich mit den Händen ab und drückte den Oberkörper hoch. Dabei konnte er nicht anders, er musste schreien, so heftig war der Stich, der ihm in die Brust fuhr. Er schaffte es schließlich, sich aufzurichten, und taumelte weiter vorwärts. Jeder Atemzug schmerzte in seiner Brust, er ignorierte es, sah stur nach vorne. An einer Stelle etwa fünfzig Meter vor ihm wurden die Konturen der Steine und des Mülls durch einen hellen Lichtschein gestochen scharf hervorgehoben. Dort musste das Gelände abfallen, und es musste eine Beleuchtung geben. Einen Weg vielleicht? Eine Straße? Er brauchte viel länger, als er gedacht hatte, bis er die Stelle erreichte, und je näher er ihr kam, umso deutlicher hörte er Stimmen. Es waren mehrere, sie redeten durcheinander, ein unverständlicher Wortbrei … Er kam an die Stelle, an der das Gelände abfiel, und blieb schwer atmend stehen. Seine Brust schmerzte bei jedem Einatmen. Ein Stück schräg unter ihm standen im Abstand von etwa zehn Metern zwei Gebäude, sie hatten ungefähr die Größe von Wohnhäusern. Durch die Lücke zwischen ihnen sah er nun auch die Männer, zu denen die Stimmen gehörten. Es waren Polizisten, zwei von ihnen in Zivil, die restlichen sechs oder sieben in der Ausrüstung des Sondereinsatzkommandos. Sie standen in einem unregelmäßigen Kreis auf der Straße, die am Fuße der kleinen Erhebung vorbeiführte. Zwei von ihnen knieten mit dem Rücken zu ihm auf dem Asphalt. Schräg hinter ihnen sah er die Fahrerkabine eines Lkw, der Rest des Fahrzeugs wurde von dem linken Gebäude verdeckt. Vor der Stoßstange stand ein Beamter und redete auf jemanden ein, der sich neben der Fahrertür
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