Das Spektrum der Toten
verliert für seinen Kurzwarenhandel jedes Interesse. Mollenhauer beginnt seine Feldarbeit zu vernachlässigen, zur ärgerlichen Verwunderung seiner Frau. Seine Gallenschmerzen sind verschwunden. Trotzdem, so stellt seine Frau fest, wälzt er sich bis lange nach Mitternacht ruhelos in seinem Bett herum.
»Warum schläfst du nicht?« fragt sie.
»Ich darf nicht«, erwidert er und verbessert sich: »Ich kann nicht schlafen.«
»Wir haben wieder Vollmond«, sagt die Frau.
»Ja, das wird es sein.«
Manchmal verfällt er vor Müdigkeit in einen Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachen.
Und in einer solchen Nacht geschieht es: Draußen am Fenster erscheint ein Gesicht und starrt ihn an. Die Modock!
Er richtet sich auf, aber da ist das Gesicht schon wieder verschwunden. Jetzt ist alle Müdigkeit verflogen. Er liegt stundenlang wach, erregt, dass sich die Prophezeiung des Schäfers erfüllt hat.
Am nächsten Morgen erzählt er seinem Schwager von seinem Erlebnis. Er schließt seinen Bericht: »Nun steht es fest, die Modock hat sich als Hexe entlarvt. Jetzt muss etwas geschehen.«
Eine Stunde später geschieht tatsächlich etwas. Toegel, erfreut darüber, dass die Täterschaft der Modock bewiesen ist und sie endlich bestraft werden kann, steigt beschwingt in seinen »Adler«. Er will vom Güterbahnhof Waren abholen. Als er sich dem Grundstück der Modocks nähert, sieht er die alte »Hexe« am Zaun stehen, eine Sense wie ein Gewehr geschultert: Als ob ihn der leibhaftige Tod anstarrt, denkt er betroffen. Es scheint ihm, als saugten sich ihre Augen an ihm fest. Er kann sich von diesem makabren Anblick nicht lösen.
Metallisches Krachen schreckt ihn auf. Etwas reißt ihn nach vorn, drückt seine Brust gegen das Lenkrad. Dann Stille. Der Wagen sitzt fest. Benommen steigt Toegel aus. Der Wagen ist gegen einen Baum am Wegrand gefahren.
Die Hexe! Der böse Blick! Zitternd vor Wut tritt Toegel vor den Tod mit der Sense. »Du Hexe!« schreit er. »Das war dein Werk! Hexe!« wiederholt er, »Hexe! Hexe!«
Die »Hexe« wendet sich schweigend um, lehnt die Sense an die Hauswand und verschwindet hinter der Tür.
Toegel läuft zurück und berichtet Mollenhauer von dem Vorfall. Mit zwei Pferden schleppen Toegel und Mollenhauer den nur leicht beschädigten Wagen auf den Hof ab.
Auf seinem Fahrrad radelt der Gendarm vorbei. Er steigt ab, sieht den beiden eine Weile zu, fragt, wie der Unfall passiert ist. Toegel, noch immer zornig und erregt, antwortet, daran sei die alte Modock schuld. Sie habe den Wagen verhext mit ihrem bösen Blick. Und dann murmelt er: »Da müsste mal der rote Hahn krähen…«
Verständnislos schüttelt der Gendarm den Kopf und schwingt sich wieder aufs Fahrrad.
»Hast du vergessen, dass uns der Schäfer Schweigen befohlen hat?« weist Mollenhauer seinen Schwager zurecht.
»Ich habe ihr entgegengeschrieen: ›Du Hexe!‹ Sie hat die Anschuldigung nicht zurückgewiesen, Herrmann, sich überhaupt nicht dagegen verteidigt! Sie ist eine Hexe! Wir müssen sie unschädlich machen!«
Das müssen wir, das ist auch Mollenhauers Meinung.
»Und zwar bald, Martin. Heute noch. Sonst werden wir unseres Lebens nicht mehr froh.«
Verlassen bleibt das Unglücksauto vor dem Scheunentor stehen. Die Reparatur hat Zeit, jetzt gibt es Wichtigeres zu tun. Sie ziehen sich auf den Heuboden zur Beratung zurück.
Eine Stunde später haben sie den Feldzugsplan gegen die »Hexe« festgelegt. Nach dem Rat des Schäfers müssen die Hexenbücher vernichtet werden…
Es ist Mitternacht, als Toegel und Mollenhauer unbemerkt das Haus verlassen. Im fahlen Mondschein schleichen sie bis zum Haus der Modocks, besorgt, dass keiner sie erblickt. Doch zu dieser Stunde ist es still im Dorf. Sie begegnen niemandem.
Am »Hexenhaus« angekommen, übernimmt es Mollenhauer, das Unternehmen abzusichern. Er stellt sich in den Schatten eines Torflügels. Von dort kann er den Weg beobachten. Toegel begibt sich an die Rückwand des Hauses. Er schichtet einige Steine aufeinander, um an das Strohdach zu gelangen.
Er setzt es mit einem Streichholz in Brand. Er wartet, bis die Flammen emporzüngeln. Dann kehren beide zurück.
Nach einer halben Stunde ist der Brand durch das feuchte Strohdach bis in das darunterliegende Gebälk vorgedrungen. Hier breitet es sich rasch weiter aus. Noch liegen die Hausbewohner im Schlaf, als sich das Feuer durch die Zimmerdecke zu fressen beginnt.
Das Knistern der Flammen und der immer dichter werdende Rauch wecken
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