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Das Spektrum der Toten

Das Spektrum der Toten

Titel: Das Spektrum der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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zugegeben, dass ihm die Mutter ihr Wissen mitgeteilt habe. Zwar habe er gleich hinzugefügt, er beherrsche sie nicht, habe sie nie genutzt. Aber das sei ja auch nur eine Notlüge. Denn wer schwarze Magie ausübe und damit Schaden anrichte, würde sich ja nicht als Jünger der schwarzen Kunst verraten.
    »Der Vater hat unserem Jungen die Krankheit angehext!« beendete Hilde triumphierend ihre Offenbarung.
    Peter wiegte zweifelnd den Kopf. »Warum soll er das getan haben?«
    »Du kennst doch seinen Hass auf Helmut, weil er nicht Bauer werden will und wegging in die Fabrik! Er will ihn bestrafen für diesen Frevel.«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Peter, »ich weiß nicht, ob es das gibt - einem Menschen Krankheiten anhexen.«
    »Und dass die Milchleistung der Kühe immer geringer wurde?«
    »Aber welchen Sinn soll das ergeben? Der Vater schädigt sich damit doch nur selber?«
    »Er wird schon was damit bezweckt haben, wir wissen es nur nicht.«
    In den nächsten Wochen blieb Helmut zu Hause. Der Arzt hatte ihn krank geschrieben. Seine Mutter nutzte die Gelegenheit, eindringlich auf Helmut einzuwirken und auch ihm ihren Verdacht mitzuteilen, dass er die Krankheit in Wahrheit dem Großvater verdanke.
    Es fiel ihr nicht schwer, Helmut zu überzeugen. Seine »Nervensache«, nämlich heftige und andauernde Kopfschmerzen, hatte sich trotz ärztlicher Behandlung nicht gebessert, und auch die Medikamente gegen die Magenschmerzen hatten nicht geholfen. Nur als Helmut für ein paar Tage seine ältere Halbschwester besuchte, war er frei von Beschwerden. Kaum kehrte er zurück, stellten sich die Kopf- und Magenschmerzen wieder ein. Helmut und seine Mutter sahen dies als Beweis für Großvaters schwarze Kunst. Auch die Zweifel des Vaters schwanden nun. Er dachte über einen wirksamen Schutz seines Sohnes nach. Solange Helmut noch mit dem Großvater in derselben Kammer schlief, war Helmut den bösen Einflüssen des Alten direkt ausgesetzt. Der Vater verfügte, dass Helmuts Bett in einem anderen Raum aufgestellt wurde. Dem Großvater war das nur recht, der kränkelnde Enkelsohn war nichts wert, er hielt ihn für einen Weichling.

    Ferner beschloss der Vater, die hexerische Macht durch ein Amulett zu brechen. Er kaufte bei einer »Weisen Frau« einen kleinen Leinenbeutel. Den musste Helmut nun ständig bei sich tragen. Sein sich körnig anfühlender Inhalt sollte die bösen Mächte abschrecken. Wochen später suchte der Vater die Weise Frau erneut auf und beklagte sich, ihr Amulett hätte nicht geholfen, Helmuts Krankheit dauere an.
    »Helmut ist zu willensschwach«, erklärte die Weise Frau. Der Vater verstand zwar nicht, warum er ein Amulett hatte kaufen sollen, wenn Helmut den Hexer auch mit bloßem starkem Willen hätte besiegen können, aber er wagte seine Zweifel nicht zu äußern, sondern unterwarf sich dem nächsten Rat der Weisen Frau: Er musste dem Schwiegervater ein Paar Schuhe entwenden. Die Weise Frau stellte die Schuhe vor sich hin und besprach sie mit einem Ammen-Gebet. Mit der Bemerkung, der Träger der Schuhe werde nun zu hinken beginnen, entließ sie den Vater. Helmut und seine Eltern überwachten in den nächsten Tagen den Großvater auf Schritt und Tritt. Schon bald waren sie sich darüber einig, dass der Großvater hinkte. Ihre Hochachtung vor der Kunst der Weisen Frau stieg. Ebenso die Gewissheit von der schwarzen Magie des Großvaters. Noch intensiver als bisher beobachtete die Familie den alten Mann. Jede Geste, jedes Wort, jeder Blick konnte Böses bedeuten. Sie entdeckten genügend solcher Beweise.
    Einmal, nach dem geruhsamen Abendessen in der Küche, setzte sich der Großvater auf einen Stuhl, vornübergebeugt, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt.
    Durch die gespreizten Finger blickte er Helmut und seine Eltern an. Dann erhob er sich plötzlich, als sei er aus dem Schlaf erwacht. Ein anderes Mal hielt der Großvater am Tisch die Mütze vors Gesicht. Er murmelte Unverständliches, sicher wieder eine Verfluchung seines Enkelsohnes. »Helmut«, flüsterte die Mutter, »verlass das Zimmer, bevor dir der Großvater eins wischt.«

    So verging der Winter, es wurde Frühjahr. Doch auch im Sommer hatte sich Helmuts Zustand nicht gebessert.
    Die Betriebsärztin von VW befürwortete im Herbst 1951 für Helmut eine Kur im Harz. Nach wenigen Tagen kehrte er zurück. Die Kopfschmerzen waren schlimmer geworden als je zuvor. Noch immer scheute die Familie vor einer gewaltsamen Befreiung vom »Hexenmeister« zurück.

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