Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spektrum der Toten

Das Spektrum der Toten

Titel: Das Spektrum der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
Vom Netzwerk:
Magenschmerzen.«
    »Magenschmerzen! Heftige!« höhnte der Großvater. Er stürmte hinaus.
    Bedrückt blieben Helmuts Eltern im Zimmer zurück.
    Der Großvater fand Helmut in der guten Stube. Er saß auf der Ofenbank, den Rücken an die wärmenden Kacheln gelehnt. Der Großvater forderte Helmut auf, sich für den Kirchgang anzukleiden. Helmut erwiderte, er habe solche Magenschmerzen, dass er weder stehen noch gehen könne.
    »Magenschmerzen, das ist das Allerneuste. Erst waren es monatelang die Nerven. Jetzt ist es zur Abwechslung der Magen.«
    »Es sind nicht die Nerven und der Magen, Opa. Bis jetzt hat mir der Nervenarzt auch nicht geholfen. Ich bin einfach irgendwie - ich weiß auch nicht, irgendwie völlig kaputt.«
    »Helmut, ich will dir mal sagen, warum du kaputt bist! Ich kann es dir ganz genau erklären: Deine Krankheit kommt aus dem Kopf! Warum bist du nicht hier zu Hause geblieben? Du solltest mal den Hof übernehmen. Das war mein Wunsch. Aber nein, dich hielt es ja nicht auf dem Hof. Bauernarbeit ist dir zu langweilig, zu stumpfsinnig. Du musstest nach Wolfsburg zu VW, das ist interessanter, wie? In der Fabrik ist es interessanter! Deshalb hast du es mit den Nerven, Helmut! Weil du deine Familie verlassen hast, die saubere Landluft! Und die Magenschmerzen hast du ja wohl auch nicht ohne Grund. Wer weiß, welchen Fraß man dir in der Werkskantine vorsetzt. Mach Schluss in Wolfsburg! Komm zurück, dann wirst du wieder gesund werden. Nimm dir ein Beispiel an mir, ich bin 71 und noch auf den Beinen!«

    Helmut ist ein friedfertiger Junge. Er weiß, es wäre zwecklos, dem Großvater, wenn er wütend ist, zu widersprechen und ihm wie schon so oft zu erklären, warum er sich bei VW Arbeit gesucht hat.
    »Bitte, Opa, sei mir nicht böse. Es geht mir wirklich nicht gut.«
    Der Großvater blickte Helmut ebenso zornig wie verächtlich an. Dann ging er wortlos hinaus.
    Der Heiligabend war nicht so wie sonst. Zwar wurden die Kerzen am Tannenbaum entzündet wie immer, zwar überreichte man einander wie immer die kargen, aber nützlichen Geschenke. Zwar nahm man gemeinsam das Abendessen ein, hörte dabei im Radio Weihnachtslieder - aber es war doch nicht so wie sonst. Helmut saß nicht mit am Tisch, er war bereits in die Schlafkammer gegangen, die er mit Großvater teilte. Der Großvater zeigte sich verstimmt, weil Helmut nicht mit in die Kirche gegangen war und sich jetzt ins Bett geflüchtet hatte. Der Großvater schwieg beleidigt, und sein Schweigen ließ auch die anderen verstummen. Es war keine fröhliche und selige
    Weihnachtszeit, wie das Radio verkündete. Der Großvater hatte sich deshalb bald erhoben und sich ebenfalls schlafen gelegt.
    Nachdem auch Monika ins Bett gegangen war, blieben die Eltern allein zurück. Der Vater bereitete einen Grog, die Mutter räumte das Geschirr ab. Die Kerzen am Weihnachtsbaum waren erloschen. Hilde und Peter setzten sich nebeneinander auf die Ofenbank. Der Kachelofen strömte noch immer Wärme aus.
    »Der Vater«, sagte Hilde, »hat Helmut wieder wüst
    beschimpft. Helmut hat es mir erzählt, die Arbeit bei VW soll schuld an Helmuts Krankheit sein. Glaubst du das?«
    Peter zuckte mit den Schultern.
    »Ich glaube das nicht, Peter. Ich weiß, woher Helmuts Krankheiten kommen. Ich mach mir schon lange so meine Gedanken. Ich bin mir völlig sicher. Schuld an Helmuts Nervensache und seinem Magenleiden ist nicht VW und dass er uns verlassen hat und unglücklich ist in Wolfsburg. Schuld ist allein der Großvater.«
    Peter blickte verzweifelt seine Frau an. »Wieso der Großvater?«
    Und in dieser Stunde begann die Tragödie, die mit der Absage einer Christmette - besonders im Streit ihren Anfang genommen hatte, allmählich in Gang zu kommen. Hilde Anders offenbarte ihrem Mann, was sie ihm bisher immer verschwiegen hatte. Sie nannte es den »schrecklichen Zauber meiner Familie«.
    Ihre Großmutter hatte das geheime Wissen der schwarzen und weißen Magie besessen. Sie konnte Menschen Krankheiten anzaubern, sie von Krankheiten heilen oder den Stall von bösen Geistern reinigen. Auf dem Sterbebett hatte sie diese Kraft an ihren Sohn weitergegeben und ihn befähigt, sie ebenfalls auszuüben. Der Großvater sei ein »Hexenmeister«.
    Peter äußerte seine Zweifel. »Unmöglich, er ist ein guter Christ, er ist sogar im Kirchenvorstand.«
    Das sei doch nur Tarnung, entgegnete Hilde. Sie selbst hätte den Vater einmal gefragt, ob ihn seine Mutter die geheime Kunst gelehrt habe.
    Er habe

Weitere Kostenlose Bücher